Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Großteil der liturgischen Objekte stammte aus neapolitanischen Kirchen, vier der insgesamt acht gefundenen Statuen waren aus der Villa Cecilia entwendet worden, den größten Teil des Diebesgutes aber stellten Gemälde, die bis auf drei Ausnahmen alle samt und sonders auf besagter Liste verzeichnet waren.
Salvatore delle Donne wiederum war nur ein kleiner Fisch gewesen, ähnlich wie Agnese di Napoli, die nach eigenen Aussagen den Zugang zu den Kirchen ermöglicht hatte und bei diversen Beutezügen mit von der Partie gewesen war. Salvatore hatte die Aufgabe übernommen, Komplizen zu rekrutieren, die die Diebstähle ausführten, und dafür eine entsprechende Entlohnung erhalten – wie ein mittlerer Angestellter, wenn man so wollte. Offenbar war ihm nach dem Mord an Umberto mulmig geworden. Er hatte aussteigen wollen, was ein Reisebüro aus Fuorigrotta bestätigen konnte, das sich nach der Berichterstattung über den Tod Salvatores bei Signora delle Donne gemeldet hatte: Man habe dort noch eine Rechnung offen, einen Flug nach Rio de Janeiro, gebucht auf den Namen Salvatore delle Donne, der das Ticket nie abgeholt hatte …
Im Rahmen der Untersuchungen tauchte irgendwann auch der Name Roberto Mazzacane auf – und verschwand ebenso unspektakulär wieder aus den Zeitungen. Es ging das Gerücht, daß der Direktor der Museen Kampaniens seine Hände beim Verschwinden von Gemälden aus öffentlichen Institutionen mit im Spiel gehabt hatte. Es wurde von Kontakten zu Fiorilla Cacciapuoti gemunkelt, die den illegalen Vertrieb auch dieser Werke ins In- und Ausland übernommen haben sollte. Niemand wußte, woher das Gerücht stammte. Vielleicht stammten die Informationen von der Verhafteten Cacciapuoti selbst, doch die Sache tauchte nirgendwo mehr auf. Es gab keine Zeugen, keine Beweise, keine Anklage und nicht einmal eine Stellungnahme Mazzacanes, der allein schon damit seine Unschuld und Integrität bewies, zumal er eng mit dem Minister für Transport und Verkehr in Rom befreundet war.
»Die Geschichte entpuppt sich eben doch als Medaille mit mehr als zwei Seiten«, resümierte Marlen. »Einige Fragen bleiben immer offen.«
»Und die Schurken, die in öffentlichen Ämtern hocken und über entsprechende Verbindungen verfügen, bleiben ungeschoren und feixen sich eins«, ergänzte Livia grimmig.
Livia hatte Urlaub genommen. Durch die Vermittlung von Claude war für den Herbst eine Ausstellung ihrer Werke in Rennes geplant, für die sie noch einige neue Bilder malen wollte. Seit zwei Tagen aber arbeitete sie konzentriert an den letzten Feinheiten des Porträts der Tabakfrau.
Marlen hingegen bekam in immer kürzeren Intervallen Sehnsucht nach Luzie. Sie versuchte, die letzten Tage in Neapel ausschließlich als Touristin zu verbringen, sich in nichts einzumischen, keine neuen Fälle aufzutun, keine Pläne für weitere Projekte zu schmieden – was ihr schwerfiel. Sie fuhr nach Capri und betrachtete von einem Felsen aus das Haus von Malaparte. In der idyllischen Landschaft, abseits des Touristenrummel dachte sie wehmütig an Salvatore und ihre erste und letzte gemeinsame Nacht. Sie fuhr nach Neapel zurück und sah sich das Museo Nazionale an, in dessen Kellerräumen ungezählte und unregistrierte römische Haarnadeln, etruskische Vasen, korinthische Grabbeigaben vor sich hin staubten. Sie besuchte die Katakomben von San Gennaro und den Knochenfriedhof, den cimitero di fontanelle . Schritt für Schritt wurde sie wieder zur Touristin.
Sie hatte auch ihre Gedanken zum Thema quattro giornate di Napoli gesammelt, zu Papier gebracht, sich den gleichnamigen Film von Nanni Loy angesehen und ein letztes Gespräch mit einem älteren Journalisten geführt, der die Ansicht vertrat, die quattro giornate seien reine Legende, und zwar schon seit dem Augenblick, als sie sich ereignet hatten. Er selbst habe damals, ganz am Anfang seiner journalistischen Laufbahn, einige der patriotischen Kämpfer und Kämpferinnen ausfindig gemacht und auf gesucht, und keiner von ihnen habe sich genau erinnern können oder wollen. »Alles fort, weggewischt aus der Erinnerung«, hatte er gesagt, während seinen Nasenlöchern blaugrauer Dunst entwich.
Die Gegenwart war stärker, sollte zumindest stärker sein, und dennoch, da war sich Marlen sicher, gab es ein gutes Weiterleben nur mit dem Erinnern, mit dem Innehalten, dem Vergegenwärtigen des Vergangenen.
48
Um Punkt sieben betraten sie den Tabakladen. Die Tabakfrau stand, wie an so vielen Tagen, inmitten
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