Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
wer ist das? Haben Sie mit dieser Frau gesprochen? Kennen Sie ihren Namen?«
»Wieso interessiert Sie das?« fragte Livia mißtrauisch. »Und woher kennen Sie diese Stimme?«
»Bitte, sagen Sie mir doch den Namen«, drängte die Tabakfrau.
»Das ist Fiorilla Cacciapuoti, die Witwe des unterirdischen Toten.«
Die Tabakfrau starrte sie an. »Das ist nicht möglich«, flüsterte sie und schüttelte den Kopf. »Bitte, geben Sie mir einen Schluck Wein.« Und ich Dummchen hatte geglaubt, sie wäre eine seiner Geliebten gewesen, dachte sie.
Livia reichte ihr ein volles Glas. Sie verstand kein Wort. »Woher kennen Sie diese Stimme?«
Die Tabakfrau trank das Glas in einem Zug leer. Währenddessen plätscherte im Hintergrund das Interview mit der Witwe Umbertos vor sich hin. »… und ich habe gefragt, wie Sie das meinen, flexibel, in welcher Beziehung? « war Marlens Stimme zu vernehmen. Eine kurze Pause. Dann wieder Fiorilla: » Wir haben jeder unser eigenes Leben gelebt. Sie wissen ja, wie das ist in Italien, man kann nicht so genau sagen, was wann passiert: Die Flexibilität ist Teil unseres Arrangements mit dem Leben. Darf ich Ihnen etwas anbieten? Einen Pomerol vielleicht? Natürlich aus den Beständen meines Mannes… « Man hörte, wie eine Flüssigkeit in Gläser gegossen wurde, das Gescharre von Füßen, jemand räusperte sich. Dann wieder Marlen: » Und warum hat Ihr Mann ausgerechnet mit Wein aus Frankreich gehandelt? « – » Er hatte eine Schwäche für Frankreich «, antwortete Fiorilla.
Ein Klick.
Die Tabakfrau hatte den Kassettenrecorder ausgeschaltet. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. Eine Schwäche für Frankreich . »Ich auch«, sagte sie leise. Heute stand ihr der Sinn nicht nach einer Malsitzung. Daß Livia und Marlen diese Fiorilla kannten, ja sogar mit ihr gesprochen hatten, brachte all ihre Gedanken, Erinnerungen, Erlebnisse, all ihre Gefühle, Pläne, Entschlüsse durcheinander. Sie bat Livia in bestimmtem, eindringlichem Tonfall, der kein Nachfragen und kein Zögern zuließ, ihre Freundin Marlen zu rufen. Sie habe eine Art Geständnis abzulegen.
Und so kam es, daß sie sich alles vom Leibe redete. Die ganze Geschichte mit Umberto von Anfang an und sogar über den Anfang hinaus, ihre Begegnungen mit Männern im allgemeinen und mit dem Ehemann im besonderen. Denn wie sonst sollte sie den beiden Frauen verständlich machen, wer oder was sie, Assunta Maria Balzano, dazu getrieben hatte, mutterseelenallein und ohne Angst die Gänge unter der Erde aufzusuchen? Der Geliebte? Die mutmaßlichen Mörderinnen des Geliebten, der zu dem Zeitpunkt, zumindest was ihr eigenes Herz anbelangte, längst kein »Geliebter« mehr war. Sie erzählte, wie es gewesen war, als sie den toten Umberto auf dem Diwan entdeckt hatte, von den Stimmen, die sich näherten, von den beiden Frauen – »eine der beiden war die auf der Kassette« – die den Toten fortgeschleift hatten und ein paar Gänge weiter einfach ablegten. Sie berichtete, wie sie den Frauen gefolgt war, ohne jede Scheu, getrieben von einem eigentümlichen Gemisch aus Neugier, Abscheu, Wut, Furcht und dem Drang, jeden Anflug von Furcht zu überwinden. Es ging im Zickzack durch die unterirdischen Gänge, und längst wußte die Tabakfrau nicht mehr, wo sie sich befand. Sie dachte an die Märchen ihrer Kindheit und bedauerte, keine Brosamen oder kein Wollknäuel zur Markierung des Wegs zur Hand zu haben. Doch irgendwie würde sie wieder ans Tageslicht gelangen. Schließlich würden auch die beiden Frauen, denen sie folgte, die unterirdischen Gänge irgendwann wieder verlassen. Andere Leute mochten das Gottvertrauen nennen. Sie nannte es innere Ruhe. Hauptsache, die Frauen merkten nicht, daß sie verfolgt wurden. Einmal waren die Frauen stehengeblieben, es hatte einen lauten Wortwechsel gegeben, einen Streit. Die Tabakfrau hatte Gesprächsfetzen aufgeschnappt, in denen es um den toten Umberto ging, Vorwürfe der einen an die andere Frau, jetzt hätten sie die Schererei und womöglich die Polizei am Hals, während die Tonbandstimme schneidend entgegensetzte, sie könne gerne aussteigen, wenn sie wolle. Einmal vernahm die Tabakfrau den unverkennbaren Duft gebackener Teigwaren, ein anderes Mal mußte sie durch seichtes Wasser waten. Doch all das hatte an Bedeutung verloren.
Sie war einem Verbrechen auf der Spur. Sicherlich, so hatte sie angenommen, handelte es sich bei den beiden Frauen um ehemalige Geliebte Umbertos, die sich gerächt hatten. Und einen
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