Der Tote vom Kliff
ausdrücklichen Rat
gefahren.«
»Sie sind ihm gefolgt?«
»Das ist meine Pflicht.« Meyerlinck zuckte mit den
Schultern. »Leider habe ich ihn verloren. Ich war zunächst an der Uwe-Düne, bin
von dort zum Kliff, weil ich weiß, dass er sich dort gern aufhält. Ich habe den
Strand mit einem Fernglas abgesucht.«
Lüder musterte Meyerlinck. »Welches Fernglas?«
»Das liegt im Auto. Dann bin ich durchs Dorf, in der
Hoffnung, Dr. Laipple dort irgendwo zu treffen. Auch an den weiteren Stellen,
die er gelegentlich aufsucht, habe ich ihn nicht angetroffen.«
Lüder sah die beiden Angestellten an. Er musterte
zunächst eindringlich die Hausdame, dann den Leibwächter. Frau Merckel hielt
seinem Blick nur kurz stand, dann wich sie auf einen Punkt in Lüders Rücken
aus. Meyerlinck hatte sich besser in der Gewalt, bis er mit den Wimpern schlug.
Lüder wartete noch einen kurzen Moment. Dann sagte er: »Dr. Laipple ist tot.
Erschossen.«
Frau Merckel wurde blass. Sie hielt die Hand vor den
Mund und murmelte leise: »O Gott.«
In Meyerlincks Gesicht zuckte mehrfach ein Muskel
unter dem linken Auge. Der Leibwächter presste die Lippen zu einem schmalen
Strich zusammen.
Lüder schwieg und sah abwechselnd von einem zum
anderen. Meyerlinck stierte jetzt stur auf die Fliesen vor seinen Fußspitzen.
Frau Merckel fasste sich als Erste.
»Wann?«, fragte sie.
»Gegen halb elf.«
»Er ist eine halbe Stunde zuvor fort«, sagte die
Hausdame mit belegter Stimme.
Lüder wunderte sich, dass keiner nach den näheren
Umständen der Tat fragte. Häufig reagieren die Empfänger solcher Nachrichten
mit Fragen nach dem Wann, Wie und Warum. Auf Letzteres konnte die Polizei fast
nie eine Antwort geben, nicht in diesem Stadium.
»Wer hat den Anruf entgegengenommen, der Dr. Laipple
aus dem Haus lockte?«
»Ich«, kam es tonlos über Frau Merckels Lippen.
»Kannten Sie den Anrufer?«
Sie bewegte vorsichtig den Kopf. »Nein, obwohl ich mir
nicht sicher bin, ob ich die Stimme schon einmal gehört habe. Es war ein Mann.«
»Sprach er deutsch?«
Sie nickte. »Ja, aber mit Akzent. Ich weiß es nicht.
Es war nicht Norddeutsch.«
»Bayerisch? Schwäbisch? Sächsisch?«
»Ich kann es nicht sagen.«
»Haben Sie etwas von dem Anruf mitbekommen?«, wandte
sich Lüder an Meyerlinck.
»Nein«, antwortete der Leibwächter. »Ich war in meinem
Zimmer. Ich habe zwar registriert, dass ein Gespräch von außerhalb kam, aber
das war alles.«
Lüder sah auf die Uhr. »Sie haben aber große Ausdauer.
Es sind jetzt mehrere Stunden vergangen, seitdem Dr. Laipple das Haus verlassen
hat. Sie wollen wirklich so lange nach ihm gesucht haben?«
Meyerlinck holte tief Luft. »Das ist mein Beruf. Dafür
werde ich bezahlt.«
Lüder spitzte die Lippen. »Ich dachte, es wäre Ihre
Aufgabe, genau das zu verhindern, was jetzt eingetreten ist.«
Der Leibwächter starrte auf seine Fußspitzen und wich
Lüders Blick aus. Er schwieg betreten.
»Hat Sie jemand bei Ihrer Suche gesehen?«
Meyerlinck schüttelte den Kopf. »Ich habe niemanden
getroffen, zumindest kein bekanntes Gesicht. Es waren nur wenige Spaziergänger
unterwegs.« Er zeigte auf den grauen Himmel, der sich am Viereck des Fensters
abzeichnete. »Das verwundert auch nicht.«
»Ich möchte, dass Sie mir die genaue Wegstrecke
notieren, die Sie zurückgelegt haben«, sagte Lüder. »Und die ungefähren
Uhrzeiten, wann Sie wo waren.«
Meyerlinck nickte.
Dann sah Lüder Frau Merckel an. »Wir benötigen noch
Ihre Aussage. Die Kollegen werden Ihnen eine Reihe von gesprochenen Texten in
verschiedenen Dialekten vorspielen. Vielleicht erkennen Sie den wieder, in dem
der Anrufer sprach. Ich habe noch einen Punkt. Wie bewandert war Dr. Laipple
mit der Technik des Hauses, insbesondere mit den Sicherungsanlagen?«
Meyerlinck blies die Wangen auf. Ein leises »Puhh«
entfuhr ihm. »Er konnte die Anlage ein- und ausschalten. Alles andere hat er
dem Personal überlassen.«
»Hat jemand von Ihnen die Alarmanlage ausgeschaltet,
bevor Lew Gruenzweig hier eintraf?«
Die beiden Angestellten sahen sich an und schüttelten
den Kopf.
»Hat Dr. Laipple Lew Gruenzweig instruiert?«
»Das glaube ich kaum«, erwiderte Frau Merckel schnell.
»Mit solchen Dingen hat er sich nicht beschäftigt.« Sie wechselte einen
schnellen Blick mit Meyerlinck. »Wir beide waren nicht beteiligt. Ich vermute
aber, dass die Putzfrau …«
»Imke Feddersen«, warf Lüder ein.
»Genau die. Vielleicht hat die vergessen, die
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