Der Tote vom Kliff
»Privat« war verschlossen, eine Doppeltür mit
Riffelglas im Hintergrund hingegen halb geöffnet.
»Herr Matthiessen?«, rief Große Jäger und ging langsam
auf die Tür zu. »Frühstücksraum«, stand auf einem Blatt Papier, das mit
Klebestreifen auf dem Türglas befestigt war. »Hallo? Ich bin von der Polizei.
Lassen Sie uns reden.«
Nichts war zu hören. Kein Laut.
Der abgestoßene Teppich schluckte jeden Laut. Große
Jäger sah zur Anrichte, auf der ein Ständer aus Plexiglas Prospekte Sylter
Attraktionen enthielt. Daneben stand eine Schale mit gemischten Bonbons. Auf
einem Platzdeckchen waren Gläser abgestellt. Am Schwarzen Brett im Hintergrund
erklärte ein Hinweis, dass Kaltgetränke im Kühlschrank in der Küche
bereitstanden. Dort fand sich auch eine Strichliste. Alles wirkte ausgesprochen
familiär. Gödeke Matthiessen schien seinen Gästen zu vertrauen. Und die wussten
es anscheinend zu schätzen. Denn mit Komfort konnte diese kleine Pension
offenbar nicht aufwarten.
Große Jäger klopfte gegen das Riffelglas. »Ich bin
allein und komme jetzt rein«, sagte er und drückte vorsichtig die Tür auf, bis
er in den Raum blicken konnte. Zunächst sah er einen langen Tisch an der Wand,
daneben einen Vitrinenschrank aus hellem Holz, der mit Gläsern und Geschirr
bestückt war. Im Raum standen fünf Vierertische, auf denen rot karierte Decken
lagen. An einem der hinteren Tische saß ein weißhaariger Mann und blickte Große
Jäger entgegen. Vor ihm lag ein Gewehr auf dem Tisch.
»Matthiessen?«, fragte der Oberkommissar.
Der Mann antwortete nicht, machte aber auch keine
Anstalten, zur Waffe zu greifen. Langsam ging Große Jäger auf ihn zu, angelte
sich einen Stuhl, zog ihn mit der Fußspitze zurück und ließ sich nieder.
»Schöner Scheiß«, sagte er nach einer Weile. »Manchmal
beißen die, ohne dass du weißt, warum.«
Matthiessen sah ihn stumm an.
Große Jäger ergriff das Gewehr am Lauf und legte es
auf den Tisch in seinem Rücken. »Solche Dinger sind keine Argumente.« Er
angelte in seiner Hosentasche nach der zerknitterten Zigarettenpackung und
hielt sie dem Pensionswirt hin. »Du auch?«
Matthiessen schüttelte fast unmerklich den Kopf.
Nachdem Große Jäger die Zigarette in Brand gesetzt und
die ersten Züge genommen hatte, zeigte der Mann auf einen Stapel mit drei
Aschenbechern auf der Anrichte.
Große Jäger riskierte, Matthiessen und das Gewehr für
einen Moment unbeaufsichtigt zu lassen, aber der Mann rührte sich nicht von
seinem Platz.
»Pech gehabt?«, versuchte es Große Jäger erneut.
Matthiessen hob nur ein wenig die Hand.
»Erzählst du mir das beim Bier?«
Zum ersten Mal zeigte sich ein leichtes Erstaunen im
Gesicht des Mannes. »Sie sind von der Polizei?«
Große Jäger nickte. »Stimmt. Auch wenn die meisten
Kollegen anders aussehen.« Er reichte seine Hand über den Tisch. »Ich bin der
Erich.«
Matthiessens Händedruck war nur schwach. »Gödeke«,
sagte er leise.
In Große Jägers Rücken waren Geräusche zu hören.
Mehrere Männer waren ins Haus eingedrungen. Man hörte geflüsterte
Verständigungen, dann flog die Glastür ganz auf.
»Hände hoch. Ich will die Hände sehen«, rief jemand,
und Große Jäger erkannte die Stimme des uniformierten Beamten wieder, der ihnen
vor dem Haus die Lage erklärt hatte.
»Gemach«, sagte Große Jäger beruhigend. »Wir haben
alles unter Kontrolle, Kollege. Nichts ist los. Mein Freund Gödeke und ich
plaudern nur ein wenig.«
Der zweite Beamte des Streifenwagens hatte das Gewehr
sichergestellt, während der erste immer noch seine Dienstwaffe im Anschlag
hielt. Hauptkommissar Paulsen stand im Hintergrund und sicherte lehrbuchhaft
mit gezückter Waffe.
»Das ist nicht erforderlich«, sagte Große Jäger, als
der Streifenführer Matthiessen Handfesseln anlegen wollte. »Gödeke und ich
wollten gerade zur Dienststelle und uns ein wenig unterhalten.«
Der Pensionswirt nickte stumm. Er stemmte sich an der
Tischplatte ab, erhob sich und folgte den Beamten zum Streifenwagen.
* * *
Es war der zwanzigste April. Ein paar
Verbohrte hatten angekündigt, am Abend am Alten Markt in Kiels Innenstadt eine
»große und nationale Geburtstagsfeier« starten zu wollen. Lüder hatte es in der
Zeitung gelesen. Er maß dieser Ankündigung keine große Bedeutung bei.
Vielleicht würde ein zusätzlicher Streifenwagen in einer Nebenstraße parken,
ein Kollege vom Polizeilichen Staatsschutz sich unauffällig unter die Passanten
mischen und darauf
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