Der Tote vom Maschsee
Bücherregal.
Dr. Fender weist auf einen Metallspind. »Da drin sind die
Patientenakten. Deren Inhalt ist vertraulich und unterliegt der ärztlichen
Schweigepflicht.«
Fernando nimmt dies kommentarlos zur Kenntnis, streift sich
Handschuhe über und öffnet nacheinander sämtliche Schreibtischschubladen. Dabei
sagt er: »Die Kollegen von der Kriminaltechnik werden gleich kommen und den
Raum untersuchen. Es wird nötig sein, auch Ihre Fingerabdrücke zu nehmen, zum
Vergleich.«
»Selbstverständlich.«
»Was war Dr. Offermann für ein Mensch?«, fragt Jule.
»Er war ⦠wie soll ich sagen ⦠er war eigentlich immer guter Laune â
zumindest strahlte er das aus. Er konnte sehr unterhaltsam sein, er hatte gern
Leute um sich. Das heiÃt nicht, dass er die Leute mochte. Er war ein Zyniker.
Aber dabei Optimist. Wenn er irgendwo auftauchte, stand er stets kurz darauf im
Mittelpunkt. In seinem Beruf war er sehr erfahren.« Nun, da sie ihn beschreibt,
schleicht sich doch ein Hauch von Wehmut in ihre Stimme.
»Eitel?«, fragt Jule unverblümt.
Dr. Fender ist nicht erstaunt über die Frage. »Oh ja. Natürlich. So
wie alle.«
»Wer alle?«, fragt Fernando dazwischen. Er hat die Durchsuchung des
Schreibtisches beendet und hält einen Terminkalender in der Hand.
»Männer. Ãrzte. Psychiater. In dieser Progression.«
Jule schmunzelt. »Und sein Privatleben? Hatte er eine Partnerin?«
Dr. Fender atmet tief ein. »Nun, eine würde ich nicht sagen. In dieser Hinsicht hielt er es wie ein Seemann. In jedem
Hafen eine Braut. Und er kam ja viel herum.«
»Kennen Sie die eine oder andere dieser Frauen persönlich?«
»Nein. Die Damen riefen nur ab und zu hier an, und wenn ich Martin
auf Reisen begleitet habe, bekam ich Einiges mit. Vielleicht finden Sie in
seinem Kalender da mehr.« Dann fällt ihr doch noch etwas ein: »Das heiÃt ⦠eine
kenne ich. Die hat ihn über ein Jahr lang verfolgt. Das war regelrechtes
Stalking. Die Frau hieà Erika Schröder, Gattin eines Internisten aus Hannover.
Seither hatte er keine Amouren mehr in der eigenen Stadt. Zumindest hat er das
mir gegenüber mal so angedeutet.«
»Er hat also recht offen mit Ihnen über sein Privatleben
gesprochen?«, greift Jule den Faden auf.
»Nun, in diesem Fall lieà es sich nicht vermeiden. Die Frau stand ja
stundenlang da drauÃen auf der StraÃe und rief ständig hier an. Das war auch
ein Grund, weshalb er umgezogen ist. Hat gedacht, sie kriegt das nicht raus.
Natürlich hat es keine acht Tage gedauert, da lungerte sie schon in Waldhausen
vor seiner Tür herum. Aber dann, vor ein paar Wochen, war plötzlich Schluss
damit. Martin verstand selber nicht, warum. Hat sich aber gehütet
nachzufragen.«
»Hat diese Frau ihm jemals gedroht?«, fragt Fernando.
»Nein, das wohl nicht. Sie war nur ständig präsent. Sie lauerte ihm
sogar vor und nach seinen Gerichtsterminen auf und machte Szenen. Einmal hat
sie ein Bettlaken entrollt, auf dem stand: Martin, ich liebe dich. Mitten in
der Verhandlung im groÃen Schwurgerichtssaal.«
Fernando muss grinsen, und auch Dr. Fender lächelt. Fernandos Puls
beschleunigt sich.
»War sie eine Patientin?«, fragt Jule.
»Nein. Angeblich hat Martin nicht einmal mit ihr gesprochen.«
»Sie glauben das nicht?«, erkundigt sich Jule.
»Oh doch«, versichert Liliane Fender. »Ich kenne das, ich habe
Stalker unter meinen Patienten. Oft reicht bei diesen Leuten ein zu langer
Blick, eine falsch gedeutete Geste, ein freundliches Lächeln. Vermutlich ist
ihm in diesem Fall sein Charme zum Verhängnis geworden.«
»Gab es Fälle von Patientinnen-Stalking?«
»Nein, meines Wissens nicht. Aber wie gesagt, er hatte ja während
der letzten Jahre nicht mehr so sehr viele Patienten. Er kam nur noch an ein,
zwei Tagen in der Woche und behandelte ein paar Private.«
»Wie, privat?«, fragt Fernando begriffsstutzig.
»Privatversicherte«, erklärt Jule an Dr. Fenders Stelle. Die nickt
bestätigend.
Fernando hat das Gefühl, dass sich Jule mit Dr. Fender auf Augenhöhe
unterhält, während er nur noch als Randfigur geduldet ist.
Ein melodischer Gong dröhnt durch die Räume.
»Das wird die Spurensicherung sein«, vermutet Fernando.
Dr. Fender steht auf und strebt zur Tür, die Beamten
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