Der Tote vom Maschsee
die Wände des Schlafgemachs zieren diverse Kohlezeichnungen:
weibliche Akte und kopulierende Körper. »Was treibst du da im Schrank?«
»Nichts weiter.« Jule taucht zwischen den Anzügen des Doktors
hervor. »Hast du was im Computer gefunden?«
»Bürokram, Korrespondenz mit Kollegen und Behörden und einige
Gutachten älteren Datums. Und bei dir?«
»Teure Uhren, MaÃanzüge, einen Schuhkarton mit Briefen und Fotos von
Damen und einen Stapel Pornohefte.«
»Die nehmen wir mit.«
»Die Hefte?«, fragt Jule.
»Die Briefe. Die Hefte lassen wir Fiedlers Leuten da, die haben ja
sonst nur wenig Freude bei der Arbeit. Sag mal: Wie kommt man eigentlich zu
einem Praktikum in der Rechtsmedizin?«, fragt Fernando unvermittelt.
»Wie kommst du jetzt darauf?«
»So halt. Wollte ich schon die ganze Zeit fragen.«
»Ich hab mal vier Semester Medizin studiert.«
»Ach.« Fernando ist verblüfft. »Und warum hast du aufgehört?«
»Ich kann kein Blut sehen.«
Fernando schält sich die Handschuhe von den Fingern. »Komm, wir sind
fertig hier. Lass uns die Nachbarn wegen der Putzfrau fragen und dann abhauen.«
Zweimal klingeln sie im ersten Stock, aber nichts rührt sich. Sie
sind schon auf der Treppe nach unten, als sich die schwere Tür doch noch mit
einem Knarren öffnet.
Ein Gespenst steht vor ihnen, gestützt auf einen Gehwagen. Die Frau
ist bestimmt an die hundert. Ihr langes, dünnes Haar ist tiefschwarz gefärbt,
aber erst von den Ohren abwärts. Der Ansatz darüber ist weià und klebt fettig
an der rosa Kopfhaut. Sie trägt einen Bademantel, dessen ursprüngliche Farbe
man vor Schmutz kaum noch erkennen kann. Ein Geruch nach altem Müll breitet
sich im Flur aus.
Fernando schaut auf das Türschild. »Frau Mensing?«
Die Alte starrt sie beide an.
»Wir sind von der Polizei. Es geht um Ihren Nachbarn, den Herrn Dr.
Offermann.«
Keine Antwort.
»Kennen Sie Herrn Dr. Offermann? Den Mann, der über Ihnen wohnt?«
»Ich wohne hier.«
»Können Sie mir vielleicht sagen, wer bei Herrn Dr. Offermann
putzt?«, fragt Fernando.
Putzen ist in diesem Moment ein geradezu absurdes Gesprächsthema,
findet Jule, die einen Blick in den Flur der Wohnung erhascht. Er ist angefüllt
mit Kartons, leeren Dosen, Tetrapacks.
Fernandos Blick schwenkt Hilfe suchend zu Jule.
»Geh doch schon mal nach unten«, flüstert die.
Mit der Hand vor der Nase wendet sich Fernando dankbar ab. Jule
fragt die Frau: »Frau Mensing, wohnen Sie hier allein?«
»Ich bin füffnneunfig.«
Das mochte hinkommen. »Frau Mensing, wer kümmert sich um Sie? Wer
geht für Sie einkaufen?«
Leerer Blick aus farblosen Augen.
»Woher bekommen Sie etwas zu essen?«
»Effn. Ja. Aâmddeffn«, kommt es aus dem zahnlosen Mund.
»Frau Mensing, haben Sie einen Vormund? Einen gesetzlichen
Betreuer?«
»Ich geh nich inf Heim.« Die Augen sind jetzt weit aufgerissen.
»Ist gut, Frau Mensing. Sie müssen keine Angst haben«, sagt Jule und
wendet sich ab. Sie wartet, bis sich die Tür wieder schlieÃt und sie von
drinnen schlurfende Schritte hört.
Von unten dringt die Stimme Fernandos herauf, der gerade sagt: »Frau
Papenburg, es interessiert uns nicht, wer hier wo schwarz arbeitet. Wir
ermitteln in einem Mordfall und wollen wissen, wer bei Dr. Offermann geputzt
hat.«
»Da kommt jeden Freitag so eine Polin, immer so gegen zehn oder elf.
Aber ich weià nicht, wie die heiÃt.«
»Ich danke Ihnen«, sagt Fernando.
»Moment noch!«, ruft Jule von der Treppe.
Frau Papenburg, eine zur Korpulenz neigende, stark überschminkte
Mittsechzigerin, blickt sichtlich gereizt über Fernandos Schulter.
»Meine Kollegin, Kommissarin Wedekin«, stellt Fernando vor.
»Wer betreut die alte Frau Mensing über Ihnen?«
»Das weià ich nicht.«
»Wer wäscht für sie, wer kauft ein und wer putzt bei ihr?«
»Ich sagte doch schon: keine Ahnung.«
»Sie wohnen im selben Haus, drei Parteien, und wissen nicht, wer die
Frau betreut?«
Das dralle Gesicht wird zitronig. »Ich denke, sie geht selber noch
mit ihrem Rollwagen raus.«
»Sie denken?«
»Bis vor Kurzem war das wenigstens noch so«, kommt es schnippisch.
»Was glauben Sie? Dass ich den ganzen Tag am Fenster hänge und meine
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