Der Tote vom Maschsee
sagen:
Nicht lang schnacken, Kopf inâ Nacken.«
Oda folgt der Aufforderung und nimmt unter dem neidischen Blick
ihres Vorgesetzten einen groÃen Schluck Bier. »Ahh!«, genüsslich wischt sie
sich den Schaum von der Oberlippe.
»Wie war denn der Vortrag von Offermann?«, fragt Völxen, dem es
ergeht wie dem Pawlowschen Hund.
»Den meisten Leuten hat er gefallen.«
»Und dir?«
»Es ging. Für mich war wenig Neues dabei, auÃerdem war er mir zu â¦Â«
Oda sucht nach dem richtigen Wort, »â¦Â zu voyeuristisch. Er hat die Taten seiner
Klientel recht anschaulich wiedergegeben. Zum Beispiel hat er detailgenau
geschildert, wie einer sein Opfer gefesselt, in welchen Stellungen er die Frau
vergewaltigt und dass er danach eine mit Benzin getränkte Decke auf sie gelegt
und angezündet hat. Ich hatte den Eindruck, dass dieser Mann keinerlei
Mitgefühl für die Opfer seiner Klientel empfindet. Als seien sie nur die weiÃen
Mäuse, mit denen man die Schlangen füttert. Für eine Typologie der Täter wäre diese
Fülle an Details nicht notwendig gewesen. Aber vielleicht sind es gerade diese
grausigen Einzelheiten, die den Nervenkitzel solcher Veranstaltungen ausmachen.
Sonst wäre er wohl nicht so populär. Die meisten Besucher schienen ganz
angetan.«
»Aber nicht alle.«
»Nein, ein paar wenigen war anzusehen, dass sie wohl ähnlich
empfanden wie ich. Schräg vor mir saà eine Frau, die hin und wieder den Kopf
schüttelte. Ob jemand hinterher was zu ihm gesagt hat, weià ich nicht. Ich bin
nach dem Vortrag sofort gegangen, ich hatte genug. Einen Moment habe ich mit
dem Gedanken gespielt, ihm die Meinung zu geigen. Aber wozu? Bei so einem
selbstverliebten Gockel bringt das wenig.«
»Die Veranstaltung ist sicher in der Zeitung angekündigt worden,
oder?«
»Ja, klar.«
»Eine Namensliste der Zuhörer wäre wunderbar.«
»Vergiss es. Es gab nur Abendkasse.«
»Wie viele waren da?«, will Völxen wissen.
»Ãber hundert Leute bestimmt. Zwei Drittel davon Frauen zwischen
dreiÃig und sechzig.«
»Da hast du ja gut reingepasst«, entschlüpft es Völxen, wofür er
einen vernichtenden Blick erntet. Plötzlich schlägt sich Oda vor die Stirn.
»Ich Idiotin! Ruf Fiedler an. Die sollen seinen Laptop suchen. Er hatte Teile
seines Vortrags da drauf.«
Völxen kommt der Aufforderung unverzüglich nach.
»Man kann nicht leugnen, dass Offermann Charisma hat«, meint Oda,
nachdem Völxen das Telefonat beendet hat. »Oder hatte. Er sah zwar nicht
sonderlich gut aus, aber er strahlte so eine Mischung aus Arroganz und
Kompetenz aus, auf die manche Frauen abfahren. Ich wette, dass er das auch
ausgenutzt hat.« Oda drückt ihren Zigarillo aus, denn die Bedienung bringt den
Salat.
»Sagen Sie bitte, wann öffnet die Bar?«, fragt Völxen die junge
Frau.
»So gegen fünf. Aber ich kann Ihnen die Getränkekarte aus der Bar
gerne bringen.«
»Danke, das ist nicht nötig«, wehrt er ab. »Waren Sie gestern Abend
auch hier?«
»Nein, gestern nicht.«
»Wissen Sie, wer gestern Abend in der Bar gearbeitet hat?«
»Wahrscheinlich der Pascal, so wie immer.«
»Und heute kommt der Pascal auch wieder?«
»Ja, ich denke schon. Am besten, Sie fragen mal den Chef, der macht
die Dienstpläne.«
»Danke. Ach, und bringen Sie mir doch auch so ein Bier â¦Â«
»Gern.« Sie eilt davon.
Völxen zieht ein Gesicht, als hätte er Zahnweh. »Ich fürchte, wir
brauchen die Presse. Wir müssen alle Besucher fragen, ob jemand Offermann nach
Verlassen des Hotels noch gesehen hat, ob nach der Veranstaltung irgendetwas
Auffälliges passiert ist. Jeder, der da war, muss sich bei uns melden. Auch die
Hotelgäste. Das wird ein Auflauf!«
»Muss sein«, bestätigt Oda. »Das ist doch eine nette Aufgabe für
unseren Neuzugang.«
Die Frau trägt ein enges elfenbeinfarbenes Kleid, dem Jule
sofort seinen hohen Preis ansieht. Sie ist etwa eins achtzig groà und sehr
schlank, eine Perlenkette betont den langen Hals. Das dunkelbraune Haar fällt
ihr glatt und seidig schimmernd über die Schultern. Ihr Teint erinnert an
Büttenpapier, und Jule spürt in ihrer Gegenwart sofort den Pickel an ihrem
Kinn. Da es Fernando offenbar die Sprache verschlagen hat, sagt Jule: »Dr.
Liliane
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