Der Tote vom Maschsee
Fender?«
»Ja, was kann ich für Sie tun?« Ihre Stimme ist dunkel und hat einen
warmen Klang.
»Kripo Hannover, wir müssen Sie dringend sprechen.«
Fernando hat wieder zurück ins Leben gefunden, er stellt Jule und
sich vor und hält der Dame seinen Dienstausweis hin.
Dr. Fenders eisblaue Augen werfen einen kurzen Blick darauf, dann
sagt sie: »Ich habe gerade eine Sitzung mit einer Patientin. Es dauert noch
zehn Minuten, wenn Sie so lange warten wollen?«
Sie führt die Polizisten ins Wartezimmer am Ende des Flurs. Die
Praxis befindet sich im ersten Stock eines behutsam renovierten Altbaus aus der
Gründerzeit, über den Räumen eines Hals-Nasen-Ohren-Arztes. Blankes
Eichenparkett knarrt unter ihren Schritten. Offenbar gibt es keine
Sprechstundenhilfe oder dergleichen.
Jule Wedekin bleibt im Wartezimmer stehen und vertieft sich in die
Betrachtung zweier Stiche, die etwas verloren an den hohen Wänden hängen. Sie
zeigen das mittelalterliche Hannover.
Fernando lässt sich in einem der hellbraunen Ledersessel nieder und
zückt sein Telefon. »Wir brauchen hier jemanden vom Erkennungsdienst ⦠Ja, wir
sind noch eine Weile hier.« Dann blättert er in der Zeitschrift Psychologie heute . Ein Männermagazin wäre ihm lieber, oder
seinetwegen auch auto motor sport , aber dergleichen
findet sich hier nicht. Vom Inhalt der Zeitschrift nimmt Fernando ohnehin nicht
allzu viel wahr, denn vor seinem inneren Auge ersteht alles überdeckend die
harmonische, wohlproportionierte Marmorstatuenfigur von Liliane Fender, zu der
ihm nur ein einziges Wort einfällt: makellos. Eine Frau wie eine Göttin.
»Bist du hier geboren?«, stört Jule seine Schwelgereien.
»Ja. Geboren und aufgewachsen in Linden.«
»Woher kommen deine Eltern?«
»Sevilla. Aber schon sie kamen als Kinder hierher. Mein Vater ist
seit zwanzig Jahren tot.«
»Deine Mutter ist sehr nett.«
»Ihr Vater war ein Stierkämpfer. In den DreiÃigerjahren war er eine
ganz groÃe Nummer.« Die Vorstellung von Pedra Rodriguez als Tochter eines
Toreros hat etwas Liebenswertes, deshalb beschlieÃt Jule, die Geschichte zu
glauben.
»Fühlst du dich mehr wie ein Spanier oder mehr wie ein
Hannoveraner?«
»Lindener, wenn schon«, verbessert Fernando und fügt in dezentem
hannöverschen Platt hinzu: »Wenn eine Katze im Fischladen jungt, sind das dann
Heringe?«
Jule lacht. »Hast du gewusst, dass Linden zu Beginn des 19. Jahrhunderts im
Begriff war, ein Garten- und Villenvorort von Hannover zu werden?«
»Tatsächlich?«
»Linden galt als das schönste Dorf im ganzen Königreich. Es gab das
Gut Linden mit einem Schloss, und viele kleine Bauernhöfe rund um den Lindener
Berg und die Ihme.«
»Ich kenne es nur als Industriestadt. Mein GroÃvater
väterlicherseits hat bei der Hanomag gearbeitet, genau wie mein Vater. Wo
wohnst du?«
»In der List. Aber erst seit gestern. Nach der Fachhochschule bin ich
wieder zu meinen Eltern nach Bothfeld gezogen. Aber während der letzten Monate
hatte ich das Gefühl, dass es höchste Zeit wird, aus dem Nest zu flüchten.«
»In die Psycho-Bronx«, grinst Fernando.
»Wie bitte?«
»Ach, nur soân Lindener Spruch. Wegen der ganzen Lehrer, Psychologen
und BWL-Studenten,
die da wohnen.«
DrauÃen werden Stimmen laut, die Klientin verabschiedet sich, und
Dr. Liliane Fender bittet die Beamten in ihr Sprechzimmer. Darin gibt es keine
Couch, wie Fernando erwartet hat, nur wieder Ledersessel, hier allerdings in
Schwarz. Liliane Fender verschanzt sich hinter einem monströsen Schreibtisch,
Jule und Fernando setzen sich in die Sessel ihr gegenüber.
»Frau Dr. Fender, Sie und Dr. Offermann führen diese Praxis
gemeinschaftlich?«, beginnt Fernando.
Sie nickt. »Ja. Worum geht es?«
»Wann haben Sie Dr. Offermann zuletzt gesehen?«
»Gestern Nachmittag. Er war nur kurz hier, um ein paar Unterlagen zu
holen. Am Abend hatte er einen Auftritt im Marriott und heute ist er nach
Zürich geflogen.«
»Was für einen Auftritt ?«, fragt Jule.
»Einen Vortrag«, verbessert sich die Psychiaterin ohne ein Anzeichen
von Verlegenheit. Sie lächelt. Ein paar feine Linien zeichnen sich um ihre
Augen und Mundwinkel ab, was Fernando äuÃerst apart findet. Es macht sie so
verletzlich. Er muss sich zusammenreiÃen, um sie
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