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Der Tote vom Maschsee

Der Tote vom Maschsee

Titel: Der Tote vom Maschsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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von mir hat? Anstatt mich einfach zu freuen, dass er mich doch noch
nicht ganz vergessen hat.
    Â»Komm rein.« Sie geht voraus, in die Küche. Ihr Vater wuchtet einen
Karton vom Küchenstuhl und lässt sich darauf sinken. Er sieht müde aus, wie ein
Flüchtling nach einer langen, strapaziösen Reise. Dazu passt auch die geräumige
Tasche, die er hereinschleppt.
    Â»Was ist da drin? Ein Geschenk zum Einzug? Oder zur Beförderung?«
    Â»Nein, tut mir leid, ich bin … ich habe … das hole ich nach«,
stammelt ihr sonst so wortgewandter Vater.
    Â»Schön«, antwortet Jule bewusst einsilbig.
    Â»Nett hier«, sagt er, obwohl er sich kaum umgesehen hat.
    Â»Ja«, sagt Jule und schnuppert an der angebrochenen Weinflasche. Der
Inhalt scheint noch gut zu sein. »Ein Glas Rotwein?«
    Â»Gerne.«
    Eine neue Verlegenheit macht sich zwischen ihnen breit. Es sind nur
noch Wassergläser sauber. Wenigstens eine Flasche Schampus hätte er mitbringen
können.
    Sie setzt sich zu ihm an den Tisch. Ihre Augen begegnen denen ihres
Vaters, die von einem klaren Grau sind, wie ein See bei trübem Wetter. Ein
Kranz von Fältchen umgibt sie.
    Â»Deine Mutter und ich … wir werden uns trennen.«
    Jule klappt der Kiefer weg. »Was ist passiert?«
    Stumm mustert er seine Fingernägel.
    Seine Chirurgenhände. Lange Finger, breiter Handrücken. Etwas
schnürt Jule die Kehle zu.
    Â»Wie alt ist sie?«, presst sie heraus.
    Â»Einunddreißig.«
    Â»Toll. Damit liegst du ja voll im Trend.«
    Warum hat ihre Mutter sie nicht angerufen? Aus Stolz, typisch. Warum
habe ich nicht mal zu Hause vorbeigeschaut? Aus Sturheit, auch typisch.
    Â»Sie ist Ärztin, aber nicht in meiner Abteilung. In der
Kinderkardiologie.«
    Warum, zum Teufel, erzählt er ihr das?
    Â»Ich wollte dich fragen, ob ich ein paar Tage bei dir wohnen kann.«
    Die große Tasche. Das darf doch nicht wahr sein! »Warum ziehst du
nicht zu ihr?«
    Â»Sie hat eine Zweizimmerwohnung und eine zehnjährige Tochter.«
    Â»Und da ist dir eingefallen, dass du ja auch eine Tochter hast, die
zwar einen nicht standesgemäßen Beruf hat, dafür aber eine Dreizimmerwohnung,
wie praktisch.«
    Â»Ich verstehe. Du hast recht, ich hätte nicht herkommen sollen. Ich
werde in ein Hotel gehen.«
    Â»Was ist besser an ihr als an Mama?«
    Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. »Sie hat Wärme und Witz. Ich
meine, wirklich Witz, nicht diesen Zynismus deiner Mutter.«
    Wärme und Witz. Blödsinn! Wahrscheinlich hat sie feste Brüste und
himmelt ihn an. Es ärgert sie, dass ihr Vater sie durch seine Bitte um Asyl zu
seiner Komplizin macht, noch ehe sie Gelegenheit gehabt hat, mit ihrer Mutter
zu sprechen. Aber würde das etwas ändern? Vielleicht. Wer weiß, was er alles
verschweigt. Warum tun Männer so etwas? Midlife Crisis?
    Â»Du kannst hierbleiben«, hört sie sich sagen. Sie war schon immer
ein Papakind.
    Â»Am Sonntag hat meine Dicke ihren Sechzigsten. Ihr kommt
doch vorbei?«
    Â»Klar.« Auch das noch, denkt Völxen.
    Er und Jens Köpcke stützen den Zaun der Schafweide, jeder mit einer
Flasche Herri in der Hand. Es ist ein milder Abend. Hoch über ihnen flitzen die
Schwalben, über dem Deister streckt sich eine zartrosa Schönwetterwolke.
    Â»Völxen, deine Schafe müssen geschoren werden. Sonst kommen sie beim
nächsten Regen nicht mehr in die Höhe.«
    Â»Hab ich morgen vor. Und es gibt so schnell keinen Regen.«
    Der Nachbar gibt ein Brummen von sich.
    Â»Was schenkst du ihr?«
    Köpcke zieht die Brauen zusammen und sagt grimmig: »Ein
Wellness-Wochenende in so einem Fünfsterne-Schuppen. Davon redet sie
andauernd.«
    Â»Machst du auch mit?«
    Â»Seh ich so aus?«
    Völxen grinst. »Nö.«
    Â»Lach nicht.«
    Â»Tu ich ja gar nicht.« Jeder von ihnen nimmt einen großen Schluck
vom lauwarmen Bier.
    Â» Wellness. Gesundheit. Anti-Aging. Das
sind die neuen Götzen, Völxen, die neue Religion, glaub mir. Die Leute zahlen
jeden Preis und machen jeden Scheißdreck mit, nur weil es angeblich gesund
ist.« Köpcke wendet den Kopf und spuckt im hohen Bogen aus.
    Eine kurze Stille tritt ein. Die Schafe haben sich unter dem
Apfelbaum zusammengerottet und starren zu ihnen herüber.
    Â»Du gehst neuerdings zum Walking?«, fragt der Hühnerbaron
scheinheilig.
    Â»Woher weißt du

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