Der Tote vom Strand - Roman
aufgewärmt wird? Ich glaube, es ist kalt.«
Mikaela Lijphart warf einen Blick auf ihren Teller und lächelte ein wenig energischer.
»Ach ja«, sagte sie. »Meinen Hunger habe ich total vergessen.«
Mikaela Lijphart wurde von ihrer Mutter und ihrem Stiefvater vor dem Lokal abgeholt, wie sie es abgemacht hatten. Moreno hatte den Verdacht, dass Helmut Lijphart als eine Art Sicherheitsmaßnahme mitgenommen worden war. Damit sie Mikaelas Mutter keine unangenehmen Fragen stellen konnte. Überrascht hätte sie das nicht.
Denn zumindest eine Frage war ja immer noch offen.
Die nämlich, was Sigrid Lijphart in jener Nacht wirklich gemacht hatte.
Ob sie auf der Brücke gewesen war oder nicht. Ob sie Winnie Maas früher auf den Gleisen entdeckt hatte als ihr Mann.
Und ob sie also gewusst hatte, dass nicht ihr Mann der Mörder sein konnte. Während ihr Mann sie durch sein langes Schweigen beschützt hatte.
Und ob sie möglicherweise ... ja, ob sie möglicherweise die ganze Zeit gewusst hatte, was Arnold glaubte.
Doch, diese Frage ist noch offen, dachte Moreno. Vor allem diese.
Als sie langsam die Tragweite dieser Frage erfasste, merkte sie, dass ihr schlecht wurde.
Irgendwann würde sie Gelegenheit finden, auch diesen Verdacht laut auszusprechen, aber natürlich bestand kein Grund, das vor Mikaelas Ohren zu tun. Überhaupt kein Grund, Mikaela hatte ohnehin schon viel zu tief ins Herz der Finsternis schauen müssen.
»Wir sehen uns sicher wieder«, sagte sie deshalb. »Und dann lade ich dich ein.«
Nachdem sie sich von Mikaela verabschiedet hatte, machte Moreno noch einen langen Spaziergang, um sich die ganze Geschichte durch den Kopf gehen zu lassen, und als sie nach Hause kam, zeigte die Uhr zwanzig Minuten nach elf. Sie zögerte zuerst, dann aber rief sie Inspektor Baasteuwel an.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte sie. »Das meine ich wirklich.«
»Danke«, sagte Baasteuwel. »Das meine ich wirklich.«
»Salomonische Lösung. Hast du die Kleine zum Schweigen überredet, oder war das die Mutter?«
»Hm«, sagte Baasteuwel. »Vor allem war es Mikaela selber. Wieso?«
»Ich bin nicht sicher, ob es richtig ist.«
»Ich auch nicht«, sagte Baasteuwel nach einer Weile. »Aber als ich alles aus ihnen herausgeholt hatte, habe ich ihnen erklärt, dass ich nichts mehr mit dem Fall zu tun habe und nur aus purer Neugier mal reinschauen wollte. Ich habe ihnen die Entscheidung überlassen und versprochen, ihnen zu helfen, wenn Mikaela die Sache doch noch ans Licht bringen will.«
»Helfen?«, fragte Moreno. »Wie denn?«
»Keine Ahnung«, sagte Baasteuwel. »Kommt Zeit, kommt Rat. Aber ich an ihrer Stelle fände es blödsinnig, jetzt noch den Mund aufzumachen. Sie hat doch alles wunderbar geregelt. Touché, ganz einfach. Der Mörder ist tot, Ruhe im Grab. Vrommel nehmen wir uns ein andermal vor.«
»Kein Zweifel daran, dass es wirklich Van Rippe war?«
»Rein gar keiner. In dem Punkt hat seine Mutter absolute Klarheit geliefert. Sie kannte ihren Sohn, und sie war damals mit Vrommel zusammen und ... tja, er hat dafür gesorgt, dass die Sache diesen Verlauf genommen hat. Er hatte diesen Arzt wegen irgendeiner alten Geschichte in der Hand, aber das haben wir nicht weiter untersucht. Natürlich hat Tim Van Rippe Winnie Maas umgebracht, aber das heißt noch lange nicht, dass Mikaela mit der Behauptung durchkommen würde, in Notwehr gehandelt zu haben. Sie hat doch ein glasklares Motiv — Rache — und außerdem ziemlich lange geschwiegen.«
»Und warum musste Van Rippe Winnie Maas umbringen?«
»Was heißt schon musste«, sagte Baasteuwel. »Über die Notwendigkeit lässt sich immer diskutieren, aber dass er ihre Schwangerschaft verursacht hatte, ist zumindest klar. Und dass er sehr bewusst — und erfolgreich — versucht hat, Arnold Maager die Schuld in die Schuhe zu schieben. Ein seltsamer Umstand ist ja, dass er an dem Abend dabei war, als Winnie ihren Lehrer verführt hat ... und wenn ich Spekulationen darüber anstellen soll, dann tippe ich fast, dass sie das verabredet hatten, um Maager in die Vaterrolle zu drängen. Du kannst über Winnie Maas sagen, was du willst, ein besonders helles Licht war sie nicht. Aber das alles sind pure Spekulationen.«
»Und was ist an diesem Abend oben auf der Brücke passiert?«
»Er hat sie heruntergestoßen, davon bin ich überzeugt. Die Frage ist nur, ob er es vorhatte ... und warum sie angerufen hatte, und wer auf die Idee gekommen war, dass sie das tun sollte.
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