Der Tote vom Strand - Roman
Eine mögliche Variante wäre, dass sie dann doch nicht wollte, weshalb Van Rippe sich auf diese Weise aus der Affaire gezogen hat. Er hatte natürlich verdammtes Glück. Dass Maager den Verstand verlieren und nur noch schweigen würde, konnte er doch nicht voraussehen. Aber es gibt eigentlich keinen Grund, noch weiter in dieser Sache herumzuwühlen ... Hat die Inspektorin noch etwas dazu zu sagen?«
»Nur noch eine Frage«, sagte Moreno. »Musstest du darüber sprechen, dass Maager seine Frau für die Mörderin gehalten hat? Mit Mikaela, meine ich?«
»Ja«, sagte Baasteuwel. »In diesem Punkt immerhin bin ich mir ziemlich sicher. Ich finde, er braucht ein paar Pluspunkte, dieser arme Wicht. Er ist doch nur noch ein Schatten seiner selbst, zum Henker. Frau und Kind zu beschützen ist doch eine edle Tat. Junge Mädchen lieben Edelmut. Ich hatte auch selber schon auf die Frau getippt, das muss ich zugeben. Aber nur einige Tage lang. Maager hat sechzehn Jahre mit diesem Glauben verbracht.«
»Und sie hat ihn darin gelassen?«
Baasteuwel ließ einige Sekunden verstreichen, ehe er antwortete. Sie hörte, wie er an seiner Zigarette zog.
»Ach«, sagte er. »Das ist dir also auch aufgefallen.«
Moreno dachte eine Weile nach, statt zu antworten. Sie spürte, dass sie Zeit brauchen würde, um sich ein Urteil über Baasteuwels Vorgehensweise zu bilden. Sie würden sicher auf diese Sache zurückkommen können, und für den Moment hatte sie nichts mehr zu sagen.
»Nett, dich kennen gelernt zu haben«, sagte sie schließlich. »Ist dein geistlicher Bruder auch so gerissen wie du?«
»Der ist der helle Kopf in der Familie«, erklärte Baasteuwel. »Hat ein verdammt großes Herz. Für einen Geistlichen zumindest. In der Hinsicht brauchst du dir also keine Sorgen zu machen.«
»Wunderbar«, sagte Moreno. »Dann habe ich keine weiteren Fragen. Gute Nacht, Inspektor.«
»Ebenso«, sagte Baasteuwel. »Mögen die Engel dich in den Schlaf singen.«
41
7. August 1999
Inspektorin Moreno hatte noch nie einen Fuß in das Vereinslokal am Weivers Steeg gesetzt — oder in der Messerstechergasse, wie es im Volksmund hieß —, aber der Ort war ihr nicht unbekannt. Alle Welt wusste, dass es sich um das Stammlokal des Kommissars handelte. Oder dass er zumindest zweimal die Woche hier Schach spielte und Bier trank. Das war schon so gewesen, als er noch der Maardamer Kriminalpolizei vorgestanden hatte, und es gab natürlich keinen Grund zu der Annahme, dass er seine Gewohnheiten geändert hatte, seit er drei Jahre zuvor in den Antiquariatsbuchhandel eingestiegen war.
Sie hatte Van Veeteren seit über einem halben Jahr nicht mehr gesehen — seit der tragischen Geschichte mit seinem Sohn —, und deshalb ging sie mit gemischten Gefühlen die wenigen Stufen hinunter, die von der Straße ins Lokal führten. Unter normalen Umständen hätte sie es interessant gefunden, ihn zu treffen, zu hören, ob die Gerüchte, er schreibe ein Buch, zutrafen, zum Beispiel, aber der Grund für ihr Treffen an diesem schwülen Augustabend hielt doch alle angenehmen Erwartungen und jede Begeisterung auf Distanz. Auf lichtjahregroße Distanz.
Das Lokal war groß und weiß getüncht, wie sie sah, als sie sich an das Halbdunkel gewöhnt hatte. Niedrige Decke, einige dunkle Balken und etliche Säulen und schiefe Winkel, die die Einschätzung erschwerten, wie groß die Räumlichkeiten wirklich waren und wie viele Gäste anwesend waren. Die meisten
Tische waren voneinander abgeschirmt, die Gäste saßen für sich in kleinen Nischen, von denen jede, so weit sie sehen konnte, mit schweren dunklen Tischen aus Kiefernholz und am Boden befestigten Bänken eingerichtet war. Eine Schiefertafel teilte mit, dass das Tagesgericht aus Lamm mit Rosmarinsoße und Bratkartoffeln bestand.
In einer der hintersten Nischen sah sie Münsters Kopf und seine ausgestreckte Hand und ging hinüber. Van Veeteren erhob sich und begrüßte sie, dann setzte er sich wieder. Er kam Moreno jünger vor als bei ihrer letzten Begegnung. Vitaler und beweglicher. Eine Aura der Energie umschwebte seine schwere, kräftige Gestalt — eine Aura, die sie von früher her kannte, die er aber in der letzten Zeit vor seinem Berufswechsel verloren hatte. Sie war sicher, dass er schon über sechzig war, aber jetzt hätte sie auf höchstens fünf- oder siebenundfünfzig getippt.
Bei der Polizei altern wir schneller als anderswo, dachte sie. Aber das war wohl kaum eine neue Erkenntnis.
»Nett, die
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