Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
Erklärung von Ihnen bekommen habe.« Edith Baumann richtete die Brille wie eine Waffe auf Gerald. Tränen rollten ihre Wangen hinunter.
»Es geht hier um eine schwere Straftat. Wir haben nicht mehr getan, als die Begleitumstände zu nennen«, sagte Batzko mit professioneller Gelassenheit.
»Meinen Mann hätten Hunderte allein aufgrund des Bildes erkannt: Freunde, Klienten, Kollegen.«
»Aber nicht einer oder eine von den Hunderten hat ihn offensichtlich vermisst, zwei volle Tage lang.«
Sie nahm Batzkos Einwand nicht zur Kenntnis. »Der Artikel ist eine Beleidigung, eine Verleumdung. Er verletzt die Würde meines Mannes. Diese Sache, ich meine, sein Tod, wird nun untrennbar mit ihm in Verbindung gebracht werden. Was sollen unsere Nachbarn, seine Freunde, seine Kollegen von ihm denken?«
»Was denken Sie darüber, Frau Baumann? Haben Sie dafür eine Erklärung?«, fragte Gerald.
Sie drehte sich um, als wolle sie die Kleidung, in der man ihren Mann gefunden hatte, genauer betrachten. Aber sie schüttelte nur den Kopf und sagte: »Ich brauche ein Glas Wasser. Können wir das Gespräch in Ihrem Büro fortsetzen? Ich muss doch sowieso eine Erklärung oder so etwas unterschreiben, oder?«
Die Fahrt in die Ettstraße verlief schweigend. Sie brauchten für die kurze Strecke erheblich mehr Zeit als üblich, denn ganz München war seit dem Frühjahr eine einzige Baustelle. Tramschienen lagen wie ausgelöste Knochen in der Fahrbahnmitte, Bürgersteige waren aufgerissen, um Glasfaserkabel zu verlegen, Straßen wurden neu geteert. Gerald saß neben Edith Baumann auf der Rückbank. Nachdem sie sich mit einem Taschentuch die Augen getrocknet und die Sonnenbrille wieder aufgesetzt hatte, drehte sie sich demonstrativ von Gerald weg und sah aus dem Fenster.
Aus der Nähe betrachtet wirkte die sportliche Figur von Edith Baumann regelrecht hager, beinahe ausgezehrt. Die Beckenknochen zeichneten sich deutlich unter dem Kleid ab. Die Arme waren mager, ihnen fehlte ein harmonisches, sinnliches Maß. Vielleicht, dachte Gerald, war der Grund für seine veränderte Wahrnehmung auch der, dass er die Frau zunehmend unsympathisch fand. Kein Wort der Trauer, noch nicht einmal eine der abgenutzten Phrasen, keine Verzweiflung über die bizarren Umstände und die Sinnlosigkeit seines Todes – stattdessen eine Attacke auf das Vorgehen der Polizei. Wollte sie etwas verbergen? Oder war es nur ihre Art, mit der Trauer umzugehen? Indem sie Schuldige suchte und sie attackierte?
Im Büro der beiden Kommissare trank Edith Baumann zunächst ein Glas Wasser, bevor sie kommentarlos ihren eigenen Personalausweis und den Reisepass ihres Mannes auf den Tisch legte. Es war so heiß wie am Vortag, erst für die kommende Woche war eine deutliche Abkühlung vorhergesagt. Gerald hatte die Jalousien an den Fenstern ganz heruntergelassen.
Er gab die Daten aus den Ausweisen in den Computer ein, während Batzko Frau Baumann fragte, ob es häufiger vorgekommen sei, dass sie an mehreren Tagen hintereinander keinen Kontakt zu ihrem Mann gehabt hatte.
»Das Wochenende habe ich bei meinen Eltern in Bad Tölz verbracht. Am Montag begann für ihn eine Fachtagung für Insolvenzverwalter …«
»Wo?«, unterbrach Batzko sie.
»Das hat er mir nicht gesagt. Ich meine, ich habe ihn nicht gefragt. Er hat lediglich erwähnt, dass er am Sonntagmittag aus München losfahren wollte«, sagte sie, und zum ersten Mal verriet ihre Stimme eine gewisse Unsicherheit. Sie blickte zu Boden.
»Hatte Ihr Mann Ihnen nicht gesagt, in welchem Hotel er sein würde?«
Sie schüttelte den Kopf, ohne Batzko anzusehen. »Manchmal hat er gesagt, wohin er fährt, wenn er über Nacht weg war. Ich meine natürlich aus beruflichen Gründen.« Sie unterbrach sich und wirkte nun beinahe hilflos. »Oh Gott, das ist seltsam. Nun habe ich das Gefühl, dass ich alles verkehrt ausdrücke, oder Sie alles missverstehen, was ich sage. Es ist in Wahrheit alles sehr einfach: Mein Mann ist Anwalt mit eigener Kanzlei, seit vielen Jahren ist er hauptsächlich als Insolvenzverwalter tätig und auch im entsprechenden Fachverband aktiv. Da ist er notgedrungen manchmal mehrere Tage außerhalb Münchens tätig. Wenn man so ein eingespieltes Team ist, wie mein Mann und ich – vielleicht sollte ich hier anfügen, dass ich früher seine Sekretärin war, so haben wir uns überhaupt kennengelernt –, dann braucht man keine Adresslisten von Hotels mehr. Ich muss ihm keine Nachrichten in das Schlüsselfach an der
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