Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
was er tagtäglich tat, und was seine Person eigentlich ausmachte, gehasst hat.«
»Hat er nie an eine Therapie gedacht? Oder daran, etwas anderes zu tun, ein neues Leben anzufangen?«
Sie griff nach dem Stirnband, das sie neben sich gelegt hatte, und ließ es, fast wie eine Gebetskette, zwischen ihren Fingern rollen.
»Therapie?« Sie sprach das Wort mit einer gewissen Abschätzung aus. »Er hat sich ja nicht krank gefühlt. Dieses Loch, von dem er sprach – das war keine klassische Depression. Es war das Leben selbst, oder, besser gesagt, es war das Fehlen einer Antwort auf die ungebetene, schreckliche Zumutung, geboren worden zu sein. So ist das Leben nun mal, die wenigen ausgenommen, die berufen sind als Künstler oder Wissenschaftler oder meinetwegen auch als Gottsucher. Und es gab ja auch nie eine wirkliche Alternative.«
»Seit wann war das so? Soweit wir wissen, ist die Wohnung in Giesing erst seit knapp einem Jahr von ihm genutzt worden. Was war davor?«
Sie lächelte und schüttelte den Kopf. »Die ersten Anzeichen liegen schon einige Jahre zurück. Damals sagte er, dass er ein Wochenende in die Berge wollte, um mit einem Kollegen zu wandern. Ich liebe Sport, aber Wandern und vor allem Bergwandern ist so gar nicht meins. Ich war auch überrascht, dass er Lust darauf hatte. Arndt hatte bis dahin eigentlich nie davon gesprochen. Er musste sich auch erst Wanderschuhe kaufen. Und als er dann am Sonntagnachmittag zurückkam, wollte ich, während er in der Badewanne lag, die Wanderschuhe in den Keller bringen, um sie zu putzen. Doch sie waren ungetragen, sahen immer noch funkelnagelneu aus. Kein Stück Erde unter den Sohlen, nichts, gar nichts. Sie rochen sogar noch wie im Geschäft. Das Einzige, was er mit den Schuhen gemacht hatte, war, das Etikett abzuschneiden. Ich habe zuerst an eine andere Frau gedacht. Es war Jahre nach meiner Fehlgeburt, als wir uns langsam damit abgefunden hatten, dass wir nie Kinder haben würden. Ich habe es damit in Verbindung gebracht und dachte, er hätte eine Affäre. Selbst die gutmütige Pute namens Weinzierl hatte ich vorübergehend im Visier, aber da war nichts.« Sie verzog den Mund zu einem bitteren Grinsen und sah aus dem Fenster, beugte dabei den Oberkörper nach vorne, als wollte sie mehr vom Himmel sehen. Sie wirkte nervös.
»Und wie sind Sie beide damit umgegangen?«
Edith Baumann drehte am Ehering, den sie am linken Ringfinger trug. Es war eine beiläufige Bewegung, wie aus dem Unterbewusstsein. »Wie es sich für ein Juristenehepaar gehört, würde ich sagen. Wir haben eine Art Vertrag gemacht. Er hat mir versprochen, dass er bis zur Pensionierung durchhalten wird, und ich ihm, dass ich seine gelegentlichen Ausflüge ohne Nachfragen toleriere. Ich war der Überzeugung, dass es funktionieren würde. Und ich bin sicher, dass auch er an unser Abkommen geglaubt hat.«
»Also hat er Ihnen nicht, wie Sie bei unserem ersten Treffen behauptet haben, erklärt, er würde zu einem Juristenkongress fahren.«
Sie schaute zur Seite und nickte kurz. »Er hat nur gesagt, er wäre das Wochenende über und vielleicht noch Anfang der folgenden Woche nicht hier. Das war unsere Formel: nicht hier sein.«
»Passierte es häufiger, dass ihm ein Wochenende nicht ausgereicht hat?«
»Nein. Das war neu. Es hat mich beunruhigt, aber ich habe mir eingeredet, dass es nur eine Phase sei. Er war beruflich sehr stark eingespannt, und ich dachte, das pendelt sich wieder ein auf ein, zwei Wochenenden im Monat. Er hat ja seinen Job, seinen Alltag im Griff gehabt. Er hat kaum Alkohol getrunken unter der Woche. Vielleicht mal ein Glas Rotwein zum Abendessen.«
»Und Sie behaupten weiterhin, nichts von der Wohnung in Giesing gewusst zu haben?«
»Ja, das behaupte ich weiterhin.«
»Und Sie haben keine Erklärung für die ungewöhnliche Kleidung, in der Ihr Mann ermordet aufgefunden wurde?«
»Nein. Ich habe nicht die geringste Erklärung dafür. Das würde ich jederzeit vor Gericht beeiden.«
Batzko räusperte sich. Wie gewohnt hatte er Gerald die Führung überlassen, wenn das Gespräch in ein psychologisches Terrain abdriftete. Nun kehrte er zu den harten Tatsachen zurück.
»Hatte Ihr Mann eigentlich eine Lebensversicherung abgeschlossen?«
»Natürlich. Als Selbstständiger wäre es höchst fahrlässig, das nicht zu tun.«
»Auf Ihren Namen, Frau Baumann?«
»Ich bestätige sehr gerne, dass es um eine beträchtliche Summe geht, allein zu meinen Gunsten. Arndt war es sehr wichtig,
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