Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
nahm einen Kugelschreiber und tippte mit der Spitze mehrfach auf den Schreibtisch, als fühlte er sich von Mosterts Ausführungen gelangweilt. »So einen Friedhof haben wir doch schließlich alle, meinen Sie nicht? Schauspieler, Rennfahrer, Dichter, berühmter Pianist – was immer Sie wollen. Das eigentliche Leben beginnt für die meisten Menschen doch erst, nachdem sie ihren Traum beerdigt haben. Immerhin haben Sie doch nun eine bemerkenswerte berufliche Karriere hingelegt.«
Mostert schnaufte und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ja. Das denken Sie. Und warum sollten Sie es auch nicht denken? Ich schreibe Reden für den Minister, meine Vorlagen und Gesetzesentwürfe werden in Berlin und in Brüssel studiert, ich arbeite mit den Vorständen der Energiewirtschaft zusammen, entwerfe Leitlinien für die Umweltpolitik der nächsten Jahrzehnte. Meine Eltern sammeln jeden Zeitungsartikel, in dem ich zitiert werde. Ich selbst konnte mir anfangs auch einreden, wie gut, wie wichtig mein Leben ist – bis zu meiner Scheidung. Dann spürte ich nur noch die Kälte der Macht, die von Ehrgeiz zerfressenen Gesichter meiner Kollegen und Kolleginnen, die natternhafte Lust an Intrigen, das Katzbuckeln und Austreten, das von oben angeheizt wird, damit die da unten sich in ihrem krankhaften Drang nach Karriere gegenseitig die Messer in den Rücken stechen. Und das alles noch übertroffen von den politischen Entscheidungsträgern selbst, die morgen festsetzen, dass Weiß Schwarz ist und Schwarz Weiß, dass zwei mal zwei an einem Tag vier sind und am anderen fünf oder sechs, und man wirft seine Konzepte und Leitlinien, an denen man Wochen gefeilt hat, in den Papierkorb. Diese schamlose intellektuelle Versklavung eigener Kompetenz, dieser pseudodemokratische Politikbetrieb, der Argumente verhurt und den Verstand zum Zuhälter der Macht verkommen lässt …«
Mostert hatte sich in Rage geredet, doch wie auf ein inneres Kommando hin stoppte er plötzlich, sah nervös auf die Uhr und trank das Glas leer.
»Vielleicht hatten Sie es gelernt, endlich auf Ihre eigene Stimme zu hören.«
Der Ministerialdirigent sah Gerald an. In seinem Blick spiegelte sich Erstaunen. Auf Mitgefühl war er offensichtlich nicht vorbereitet.
»Es war der Bodensatz meines Ichs, der tiefste Punkt im Brunnen, wo nur noch Dunkelheit ist und Verzweiflung. Aber Sie haben recht, Herr …« Er suchte offenkundig nach Geralds Namen, hatte ihn aber nicht präsent. »… Herr Kommissar. Als es mir so schlecht ging, habe ich mich an meine Jugend erinnert, an die heißen Sehnsüchte und die bitteren Enttäuschungen, an meine Leidenschaft für das Theater und für die Stimme. Ich habe tatsächlich noch im Keller einige alte Platten gefunden, andere habe ich über das Internet besorgt. Aber selbst in meiner neuen Wohnung in diesem anonymen Hochhaus, die Sie ja kennen, war ich zu befangen, sie anzuhören. Oder besser gesagt, ich hätte nicht ausgehalten, was sie in mir auslösen würden. Ich hätte nicht weiter funktionieren können, hätte mich am folgenden Tag nicht wieder dem Irrsinn der Verwaltung, des Politikbetriebs aussetzen können.«
»Sie haben die Wohnung in Giesing gebraucht, wie sie Arndt Baumann gebraucht hat.«
Mostert nickte.
»Und das Ehepaar Thaler«, fügte Batzko hinzu.
»Was?« Franz-Georg Mostert wirkte einen Moment völlig konsterniert, fing sich aber rasch wieder. Er lächelte in sich hinein, als ob ihm gerade bewusst geworden war, dass sich die polizeilichen Ermittlungen wohl kaum auf seine eigene Person beschränkt hatten. »Die Thalers – das sollten Sie sie wohl am besten selbst fragen.«
Mostert warf einen kurzen Blick auf die Uhr, stand auf und zog in einer routinierten Bewegung den Krawattenknoten fest.
»Sie bleiben für uns erreichbar?«, fragte Batzko.
Mostert drehte sich um und machte zwei Schritte auf die Kommissare zu. »Ich habe Ihnen Dinge über mich verraten, von denen ansonsten nur noch drei Menschen auf diesem Planeten wissen, und einer von diesen dreien ist tot. Ich muss mich unbedingt auf Ihre absolute Diskretion verlassen können. Meine Ausführungen sollten Ihnen verdeutlichen, dass die Wohnung in Giesing nichts mit der Tat zu tun haben kann.« Er griff in seine Hosentasche und zog einen schlichten Ring mit zwei Schlüsseln heraus, ohne Anhänger. Gerald sah auf den ersten Blick, dass es die Schlüssel zur Wohnung in der St.-Martin-Straße sein mussten. »Außerdem …« Dr. Mostert legte sie vorsichtig auf Batzkos
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