Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
Stunde die Uferpromenade entlang, teilten sich einen Steckerlfisch, als Sevi im Kinderwagen seinen Mittagsschlaf hielt, und aßen ein gemischtes Eis, als er wieder wach geworden war. Sevi durfte probieren, und sein Gesicht sah bald so farbenfroh aus wie eine Malerpalette. In der Sonnencremetube war nur noch ein kleiner Rest, aber Nele, die vor einem halben Jahr noch hysterisch und hyperventilierend eine Apotheke gesucht hätte, möglichst mit Blaulicht, blieb gelassen. »Das reicht schon noch, bis wir wieder an einem Kiosk vorbeikommen.«
Die Kleinfamilien-Idylle hielt bis 15.38 Uhr, als Geralds Handy plötzlich vibrierte.
»Herr van Loren? Schultheiss, vom Kriminaldauerdienst. Zunächst möchte ich Ihnen einen schönen Sonntag wünschen.«
»Ich fürchte, Ihr Anruf wird ihn nicht verschönern.«
Christian Schultheiss, ein sympathischer, chronisch gut gelaunter Kollege, den Gerald nur sehr flüchtig kannte, lachte auf. Im Hintergrund waren undeutlich Geräusche zu hören. Gerald meinte unter ihnen auch ein hysterisches Weinen zu erkennen.
»Keine Panik. Ich sehe nicht, dass es ein Fall für Sie wird. Ich rufe Sie nur an, weil ich mich an die letzte große Dienstbesprechung erinnert habe, in der Sie von dem ermordeten Anwalt und dieser seltsamen Zweitwohnung in Giesing berichtet haben. Und diesem Ehepaar. Die Thalers.«
Eine Ahnung, so kalt wie Eis, kroch langsam Geralds Rückgrat hoch.
»Ja. Und?«
Schultheiss zog tief die Luft ein. »Auf den ersten Blick halte ich es für einen glasklaren Suizid, einen Doppelsuizid, um genauer zu sein. In Anbetracht der Umstände habe ich natürlich die Spurensicherung kommen lassen. Die Jungs haben mit der Arbeit schon angefangen.«
Gerald nahm das Handy vom Ohr und sah über den See. Er war zu keinem klaren Gedanken fähig, aber irgendwo noch unsichtbar am makellosen Horizont brauten sich tiefdunkle Wolken aus Selbstvorwürfen zusammen, die später über ihn hereinbrechen würden.
»Herr van Loren? Sind Sie noch dran?«
Geralds Stimme klang so tonlos, als käme sie aus einem Automaten. »Haben Sie Batzko schon erreicht?«
Um halb sechs stand Gerald vor dem Haus der Thalers. Er hatte Nele und Severin zu Hause abgesetzt, glücklicherweise noch vor dem großen Strom der Tagesurlauber.
Christian Schultheiss stand auf dem Bürgersteig und hielt ein Smartphone in der Hand. Er war so vertieft in seine Beschäftigung, dass er erst aufblickte, als Gerald unmittelbar vor ihm stand.
»Eigentlich finde ich diese Dinger scheußlich. Mein Sohn schleppt es mit an den Esstisch, aufs Klo, einfach überall hin. Irgendwann wird es mit seiner Haut verwachsen. Aber er kennt die irrwitzigsten Spiele. Einfach genial, wenn man in der S-Bahn sitzt oder irgendwo warten muss.«
Oder zwei Leichen vorgefunden hat, dachte Gerald. Doch er konnte seinen Kollegen verstehen. Der Kriminaldauerdienst war stets als erste Abteilung am Tatort, sie sahen zu Tode Geprügelte, Vergewaltigte und Menschen, die sich ein Luftgewehr in den Mund gesteckt und abgedrückt hatten. Sie betraten Wohnungen, in denen sich der Müll bis zur Eingangstür stapelte. Sie wurden gerufen, wenn der Briefkasten überquoll und ein unerträglicher Leichengestank in den Flur strömte. Jeder in diesem Job brauchte einen Schutzpanzer, und die sprudelnd gute Laune von Christian Schultheiss war dabei noch die angenehmste Variante.
»Haben Sie extra auf mich gewartet?«
»Kein Problem.« Schultheiss schaltete das Smartphone aus und steckte es in die Hosentasche. Er drehte das Gesicht schnell zur Seite, weil er plötzlich gähnen musste. »Sorry, aber ich musste die Nachtschicht wegen Krankheit eines Kollegen mitübernehmen. Seit einer halben Stunde bin ich offiziell schon abgelöst. Ich fahre gleich nach Hause, wärme mir das Mittagessen auf und lege mich aufs Ohr. Ich darf nur nicht vergessen, mich vorher zu rasieren. Meine Frau hasst Bartstoppeln, wissen Sie? Jeden Abend muss ich mich rasieren, schon seit über zwanzig Jahren. Ist schon komisch, oder? Sie streicht mir über die Wangen, und damit ist alles am Tag vergeben und vergessen. Ist doch auch schön, andererseits.«
Schultheiss’ unkontrollierter Rededrang war ein Indiz dafür, dass er mit den Kräften am Ende war.
»Ist die Spurensicherung schon weg?«
»Schnell wie die Feuerwehr. Deren Bericht wird ein Einzeiler. Der Notarzt hat die Leichen für die Gerichtsmedizin freigegeben. Die sind auch schon weg, vor gerade mal zehn Minuten. Schlüsselfertige Übergabe sozusagen,
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