Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
Kollege. Seien Sie mir dankbar. Obwohl – andererseits, solch einen Doppelsuizid sieht man selten.«
»Wie soll ich das verstehen?«
Schultheiss antwortete nicht sofort. Er griff in die rechte Tasche seines verschlissenen Jacketts, holte eine noch ungeöffnete Schachtel Zigaretten heraus, steckte sie dann aber in die linke Seitentasche, aus der er anschließend eine halbleere Tüte Weingummi fischte. Er hielt sie Gerald hin, der ablehnte, und nahm dann selbst zwei heraus und schob sie in seinen Mund.
»Ich habe heute minus zweiundzwanzig Zigaretten geraucht. Nicht schlecht, oder? Auch wenn zum Ausgleich für meine Lunge nun meine Zähne draufgehen. Aber die kann man besser ersetzen, denke ich.«
Gerald räusperte sich.
»Versteh schon«, sagte Christian Schultheiss und trat von einem Bein auf das andere. Er drehte die Finger ineinander und schob gleichzeitig das Weingummi im Mund hin und her. »Die Haustür ist noch offen. Ich habe eine Zeitung dazwischengeklemmt. Die Tochter ist oben im Haus. Sie gehen doch noch rein zu ihr, oder? Wegen Ihres Falles, meine ich.«
»Ja. Aber was ist mit den Leichen?«
Schultheiss griff ein weiteres Weingummi, hielt es hoch, als müsste er es auf seine Echtheit überprüfen, und legte es wieder zurück in die Tüte. »Na ja, das war schon ein Anblick. Die beiden lagen da wie Schneewittchen in reifem Alter und ihr Mann. Sie in rotem, knöchellangem Kleid – Beine hatte sie, wirklich ein Traum, trotz ihres Alters –, und er in feinem Anzug, mit Weste, weißem Hemd, passendem Einstecktuch. Auf ihrem Bett lagen sie, die Schuhe aber natürlich ausgezogen. Auf dem Rücken, Hand in Hand. Meine Güte, denke ich, das kriegen die meisten im Leben nicht hin, wie die ihren Tod inszeniert haben. Der Leichenbestatter kann sie so in den offenen Sarg legen. Schöner geht es nicht, glauben Sie mir, nicht einmal der Lenin sieht gepflegter aus.«
»War es Tablettenvergiftung?«
Schultheiss nickte und nahm nun doch noch ein weiteres Weingummi. Er bot die Tüte erneut Gerald an, der wieder ablehnte. »Ist schwer zu vermuten, laut Arzt. Auf dem Nachttisch stand eine Flasche Armagnac, aber was für einer. Ich kenne mich da ein bisschen aus. Manchmal gehe ich sogar auf Auktionen. Da werden Tropfen angeboten, sage ich Ihnen … Ein Wahnsinn, es war ein Bas-Armagnac, das Feinste vom Feinsten. Mein Monatsgehalt, netto, stand da, in einer einzigen Flasche, die noch fast voll war. Dazu zwei Gläser. Edel geht die Welt zugrunde, kann ich nur sagen.«
»Ein Abschiedsbrief? Eine Erklärung?« Gerald versuchte, seine Fragen so kurz wie möglich zu formulieren, in der Hoffnung, so auch eine bündige Antwort zu bekommen. Natürlich war die Hoffnung vergebens.
»Brief würde ich es nicht nennen. Definitiv nicht. Ein Blatt Papier lag da, auf dem Nachttisch der Frau. Auf dem des Mannes stand ja der edle Tropfen. Schönes Papier, mit dem Wasserzeichen ihrer Firma. Die waren doch Immobilienmakler, nicht wahr? Ein Satz stand drauf, maximal zwei. Etwas ganz Allgemeines mit ›Verzeih uns bitte‹ und so weiter. Wie auch immer – Sie können es lesen, liegt noch da.«
»Wer hat die beiden entdeckt?«
»Die Tochter. Die hat dann auch gleich die Polizei gerufen. Sie waren wohl zum Nachmittagskaffee verabredet. Sie hat geklingelt, natürlich ohne Ergebnis. Dann hat sie gedacht, ihre Eltern hätten wohl noch einen Termin oder seien irgendwo aufgehalten worden, und hat schon einmal angefangen, den Tisch für den Sonntagskuchen zu decken und Kaffee zu kochen. Irgendwie bizarr, nicht wahr? Der Kaffee duftete in der Kaffeemaschine, im Wohnzimmer drei Gedecke, ganz fein, mit Servietten. Als die Tochter immer noch nichts von ihren Eltern gehört hat und die auch auf dem Handy nicht erreichbar waren, ist sie unruhig geworden. Die Tür zum Elternschlafzimmer war geschlossen, sie hat sie einfach geöffnet, und da lagen sie. Das als Schlussaufnahme der eigenen Eltern … das will man nun wirklich nicht. Das brennt sich ganz tief ein. Armes Mädchen.«
»Ist jemand bei ihr? Wird sie betreut?«
Der Kollege vom Kriminaldauerdienst schüttelte den Kopf. Er nahm ein weiteres Weingummi und schien es plötzlich eilig zu haben.
»Wollte sie definitiv nicht, und ich sah keinen Anlass zur Zwangsversorgung. Kennen Sie sie eigentlich, ich meine, im Rahmen Ihrer Untersuchungen? Nein? Okay, ich mache mich vom Acker. Ich will wenigstens heute Abend noch etwas von meiner Familie haben. Duschen, sauber rasieren und wieder ein Mensch
Weitere Kostenlose Bücher