Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
sein Kollege persönlich von einem Fall betroffen war.
»Aber bei unserem Gespräch haben Sie nichts darüber erzählt, und bei unseren Kollegen vom Diebstahlsdezernat waren Sie bis heute auch noch nicht, oder?«, hakte Gerald nach.
»Ich wollte ja gehen«, antwortete Scharnagl leise, »aber dann habe ich das Bild in der Zeitung gesehen. Ich schwöre Ihnen, da war nichts von Genugtuung in mir. Ich habe nur gedacht, vielleicht geht die ganze Sache ja irgendwie verloren … Vielleicht habe ich wenigstens ein einziges Mal Glück in diesem ganzen Schlamassel, und das Schicksal gibt mir einen kleinen Rabatt. Aber dann hat mich Anfang der Woche dieser – wie heißt er noch?«
»Dr. Claussen«, ergänzte Gerald.
»Ja, genau. Der hat mich angerufen und sich als Nachfolger von Baumann vorgestellt. Da habe ich erfahren, dass es tatsächlich schon in den Akten war. Und dann bin ich in die Berge und jetzt bin ich hier.«
»Wo ist der Wagen eigentlich jetzt?«, fragte Gerald nach einer Pause.
»Was denken Sie? In meiner Garage natürlich. Der Tscheche ist erst gekommen, als ich schon wieder zu Hause war. Er hatte sich schon auf die Spazierfahrt gefreut. Ich habe ihm seine Auslagen erstattet, als fairer Geschäftsmann«, sagte Baumann und lächelte wieder gequält.
Eine Pause trat ein. Die beiden Kommissare verständigten sich durch einen kurzen Blickwechsel, dann sagte Gerald: »Kommen Sie, ich begleite Sie zu den Kollegen, die für Ihre Diebstahlsanzeige zuständig sind.«
Als Gerald zurückkam, legte Batzko gerade den Telefonhörer auf.
»Mostert«, sagte er, lehnte sich entspannt zurück und schloss die Hände hinter dem Nacken. Seine übliche Geste, wenn er Genugtuung darüber verspürte, dass etwas genau so geschehen war, wie er es erwartet hatte. »Er und das Ehepaar Thaler, für die er spricht, fühlen sich durch den Zeitungsartikel in infamer Weise bloßgestellt und in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt. Er wird rechtlich prüfen lassen, ob die Nennung des ersten Buchstabens eines Namens in Verbindung mit einer Berufsbezeichnung und einem Lebensraum überhaupt noch der Wahrung der Persönlichkeitsrechte entspricht. Das betrifft die Zeitung. Was uns betrifft, so behält er sich ebenfalls juristische Schritte vor, da er davon ausgeht, dass die Polizei unerlaubten Einblick in die laufenden Ermittlungen gegeben hat. Außerdem hat er das wiederholt, was er bereits in der Wohnung von sich gegeben hat: Ohne staatsanwaltliche Vorladung würden er und das Ehepaar Thaler uns nicht einmal die Uhrzeit verraten.«
»Da pocht jemand mit der Faust auf seine Rechte.«
»Wenn die feinen Damen und Herren Cowboy und Indianer spielen und dabei entdeckt werden, reagieren sie jedenfalls äußerst dünnhäutig.«
»Der Artikel erschwert unsere Arbeit ganz erheblich. Alle, mit denen wir reden, haben nun das Gefühl, in der Öffentlichkeit zu stehen. Das muss aufhören.«
»Meine Rede«, sagte Batzko, stand auf und warf einen prüfenden Blick in den Spiegel. »Ich gehe zu Tanja Hillenbrand, und du sprichst mit dem Staatsanwalt wegen der Vorladungen für unsere drei Herrschaften.«
Gerald nickte knapp.
17
Die Berichterstattung über den »Toten von der Isar« setzte sich am folgenden Tag, dem Samstag, fort. Eine große überregionale Tageszeitung zählte nun auch den Pleite gegangen Handwerksmeister W. S. aus dem Münchner Osten zu dem Kreis der Verdächtigen und bat zudem auch einen fernsehbekannten Psychologen um einen Gastkommentar.
Unabhängig von der kriminalistischen Ebene des Falles wirft die Geschichte um den »Toten von der Isar« ein grelles Licht auf die seelischen und moralischen Erosionen unserer Wohlstandsgesellschaft. Diese Leute haben, wonach alle sich sehnen: Erfolg, berufliche Anerkennung, finanzielle Unabhängigkeit. Und doch haben diese Menschen sich selbst verloren. So tief, dass sie den Verlust nur mit Alkohol und einer durch Kasperltheater und alte Schallplatten ritualisierten Rückkehr in die Kindheit ertragen können. Der Fall lehrt, dass Erfolg und berufliche Leistung keinen Lebenssinn geben können. Erfolg und Geld schaffen lediglich die Illusion eines erfüllten Lebens, bis uns auf dem Höhepunkt die große Sinnfrage einholt. Für die einen ist sie nur mit Gott zu beantworten, für die anderen mit einer Rückbesinnung auf die Familie. Diese Menschen jedoch haben ihre Chance, die solch eine Krise ja immer auch bietet, in einem Chaos aus Alkohol und Destruktion verspielt.
Gerald legte den Artikel
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