Der Toten tiefes Schweigen
Bild schoss Jane durch den Kopf: Karin, die sich amüsierte. Ja, sie würde es amüsant finden, ja, sie hätte etwas Spöttisches auf den Lippen gehabt. Aber auch wenn Karin lächelte, Jane konnte es nicht.
»Gott, unser Schöpfer und Erlöser, durch Deine Macht hat Jesus Christus den Tod besiegt und ist in die Herrlichkeit aufgestiegen. Auf seinen Sieg bauend und seine Versprechen einfordernd, vertrauen wir Deine Dienerin Karin Deiner Gnade an im Namen Jesu Christi, unseres Herrn, der gestorben ist, der lebt und mit Dir herrscht, jetzt und für immerdar.«
Sie hasste Feuerbestattungen, hasste die Anonymität dieser Phantomkapellen, hasste den Mangel an Schönheit, hasste den schrecklichen Vorhang und das Geräusch, wenn der Sarg wegglitt. In ihren Augen war eine Erdbestattung sehr viel würdevoller, obwohl sie viele Pfarrer kannte, die anderer Meinung waren.
Noch einmal schaute sie auf Karin McCaffertys Sarg, die weißen Blumen, das Aufblitzen des Messinggriffs in der dunklen Kapelle. Dann senkte sie den Kopf und hob zum Totengebet an.
Cat hatte die Augen geschlossen, versuchte aber erst gar nicht, sich die Tränen vom Gesicht zu wischen. Andy Gunton stand steif da und schluckte. Er hatte mit Karin gearbeitet, fast jeden Tag ein paar Stunden mit ihr in den Gärten von Seaton Vaux verbracht, dem Anwesen von Caxton Philips, hatte von ihr gelernt, mit ihr gelacht, und da er nicht gewusst hatte, was er tun oder sagen sollte, als die Krankheit sie in ihren tödlichen Griff nahm, war er weggeblieben. Jetzt schämte er sich, verachtete sich dafür, zu den Menschen zu gehören, die die Straßenseite wechseln, um eine unangenehme Begegnung zu vermeiden.
»Amen.«
Simon hörte seine klare Stimme, die eine Brücke über die kurze Entfernung zwischen ihm und Jane Fitzroy schlug. Er hatte nicht gewusst, wie er reagieren würde, wenn er sie wiedersah, und war verblüfft darüber.
Der Sarg glitt vor, und Cat hielt die Luft an. Chris, flüsterte sie, o Gott.
Simon sah zu ihr, doch sie hielt den Kopf gesenkt. Chris, dachte er.
»Karin hat um diese Musik gebeten. Bitte, hören Sie zu und denken Sie mit Freude an sie, behalten Sie Karins tapferen, lebhaften Geist in Erinnerung.«
So oft, dachte Cat, gibt es einen schweren Augenblick bei Einäscherungen, wenn die Musik aus der Konserve »My Way«, »Somewhere over the Rainbow«, »I will always love you« plärrt … Als aber »Blowing in the Wind« ertönte, war es doch richtig. Cat lächelte.
»Mein Gott, wie ich diese Orte hasse«, sagte Simon und berührte Cats Schulter, als sie unter das Vordach traten. Der Donner verzog sich, aber es regnete noch stark, der Himmel war schwarzblau wie eine frische Prellung.
»Ich bin froh, dass du es geschafft hast.«
»Hatte es nicht für möglich gehalten.« Rasch sah er sich um und sagte dann: »Ich möchte kurz mit Andy Gunton sprechen. Ein früherer Knacki, der die Kurve gekriegt hat.«
»Ich glaube, Jane würde dich gern sehen.«
»Danach muss ich los, tut mir leid.«
Sie warf ihm einen Blick zu und sagte nichts, als er zu Andy ging, der unsicher abseitsstand.
Jane sprach mit Karins Verwandten. Cat wartete, lauschte dem Rest des Liedes, das in der leeren Kapelle hinter ihnen melancholisch verklang.
Simon lief durch den Regen zu seinem Wagen, gefolgt von Andy. Als sie sich entfernten, kam die nächste Trauergesellschaft die Auffahrt hinauf. Die Bestattungsunternehmer hatten Karins Blumen unter das Vordach gestellt, und die weißen, wächsernen Lilien verbreiteten einen exotischen Duft. Keine Lilien, dachte Cat. Keine Lilien, kein Krematorium. Darüber war sie sich mit Chris nie einig gewesen. Er war nicht gläubig, auch wenn er ihren Glauben respektierte, und für ihn stand die Einäscherung fest, aus vernünftigen, praktischen und, wie sie jetzt sah, herzlosen Gründen. Sie wusste, was er sich wünschen würde.
Jane hatte die Verwandten zum Bestattungswagen gebracht und kam jetzt auf sie zu. Es war kurz nach drei.
»Ich nehme dich mit in die Stadt«, sagte Cat. »Wir trinken Tee und essen einen Toast in Karins Lieblingscafé.«
Jane lächelte. »Ich kann meinen Talar im Wagen ausziehen.« Sie warf einen Blick über den Parkplatz.
»Er musste los«, sagte Cat. »Wie er sich ausdrückte.«
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Achtundvierzig
A ls er an der katholischen Kirche vorbeigegangen war, hatte er die Entfernung von der Bordsteinkante und dann von der Straße mit dem Auge vermessen. Am Abend hatte er einen Stadtplan herausgezogen, hatte
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