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Der Toten tiefes Schweigen

Der Toten tiefes Schweigen

Titel: Der Toten tiefes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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alte Fuchsrüde war noch immer da, saß in der Sonne am anderen Ende des Flugfelds und wärmte sich. Clive beobachtete ihn. Er rührte sich nicht, kein Muskel. Clive konnte verstehen, warum.
    »Komm endlich mit der Lampe!«
    Schließlich warf er einen Blick über die Schulter auf den Fuchs und setzte sich in Bewegung.
    »Verflucht, wo warst du denn?«
    »Pissen.«
    »Hier, hier herüber.«
    »Wie?«
    Ian streckte den Arm hoch, und Clive legte die Taschenlampe in die wartende Hand.
    »Er ist tot«, sagte Clive.
    »Großer Gott!«
    »So wie es aussieht, ist der schon seit Tagen tot.«
    Ian ging in die Hocke und betrachtete den Haufen aus altem Regenmantel und Trainingshose. Der Mann war dreckig. Der Regenmantel war mit dicken Klumpen geronnenen Blutes bedeckt. Ian hielt die Taschenlampe näher heran. Der Mann war nicht mehr jung, schwer zu sagen, wahrscheinlich ein Alkoholiker oder ein Drogenabhängiger. Ian beugte sich vor und fühlte den Pulsschlag am Hals.
    »Was um alles in der Welt ist mit dem passiert? Was hat der überhaupt in diesem Loch gemacht?«
    Doch Ian war aufgestanden und lief rasch zum Eingang. Dabei hatte er bereits das Handy am Ohr.
    Eine halbe Stunde später rumpelte der Krankenwagen über das Flugfeld.

[home]
    Fünfzig
    D raußen schüttelte der heftige Wind die Bäume und rüttelte am Zaun. Der Regen prasselte stoßweise gegen die Fenster des Bauernhauses und wurde dann weggeweht.
    »Ist dir warm genug?«, fragte Cat.
    »Prima.«
    »Ich kann noch ein bisschen stochern.«
    »Ich sagte doch, es ist prima.«
    »Tut mir leid.«
    »Nein.« Chris schüttelte den Kopf und zuckte zusammen.
    Er war am Tag zuvor aus dem Krankenhaus gekommen, wirkte besorgt, ging vorsichtig, als hätte er Angst, hinzufallen. »Es ist anders«, sagte er mehr als einmal. »Alles sieht unheimlich aus.«
    Sam und Hannah schliefen diese Nacht in Hallam House. »Gewöhn dich langsam ein«, sagte Cat.
    »Das brauche ich nicht.«
    »Ich kann sie wieder herholen, wenn du willst.«
    »Lass es, lass es sein.«
    Sie konnte sich nicht an diesen empfindlichen, reizbaren Menschen gewöhnen, der an die Stelle des lockeren, gelassenen Chris getreten war. Teilweise lag es an dem Tumor, teilweise waren es die Nachwirkungen der Operation und der Medikamente. Ob es wieder anders werden würde? Würde sie Chris zurückbekommen? Sie hatte keine Ahnung. Der Facharzt hatte keine Ahnung. »Jeder Fall ist anders.« Bei der Operation war so viel vom Tumor entfernt worden, dass der Druck im Kopf nachgelassen hatte. Doch da war noch viel mehr, was sie nicht anzurühren wagten. Sie sah ihn an. Er hatte die Augen geschlossen. Er wirkte kleiner, sehr distanziert. Seine Haut war blass, das Gesicht unter der Rasur und dem Verband war verändert. Wer war das?
    »Ich komme mir vor wie ein Wiedergänger«, hatte er gesagt.
    Die erste Bestrahlung hatte stattgefunden. Cat würde ihn noch neunmal hinfahren. Die Höchstmenge. Danach nichts mehr.
    »Soll ich Tee kochen?«
    »Warum?«
    »Ich dachte, du möchtest vielleicht welchen.«
    »Trink ein Glas Wein. Das machst du abends doch gerne.«
    »Ich will nicht ohne dich trinken.«
    »Gewöhn dich schon mal dran.«
    Cat wandte den Kopf ab.
    »Wird dein Vater sie heiraten?«
    »Judith? Keine Ahnung. Du kennst Dad doch, solche Fragen kann ich ihm nicht stellen.«
    »Ich mag sie.«
    »Oh, ich auch. Aber er ist so querköpfig. Wenn ich ihm das sage, könnte er seine Meinung über sie komplett ändern.«
    »Und dann ist da noch Si.«
    »Ach, Simon.« Sie stand auf. »Ich verliere die Geduld. Ich glaube, ich trinke doch etwas.«
    »Recht so.«
    »Brauchst du Schmerzmittel?«
    »Nein.«
    »Sicher?«
    Chris antwortete nicht. Warum sollte er? Er hatte gesagt, er brauche keine, aber sie hatte trotzdem nachgefragt. Warum? Weil sie nicht wusste, wie sie ihm helfen, wie sie mit ihm sprechen, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Bei jedem anderen Patienten hätte ich es besser gemacht, dachte sie, ganz gleich, was mit ihnen nicht stimmte, ich wäre in der Lage gewesen, es besser in den Griff zu bekommen.
    Sie war nun einmal Ärztin. Nur eine Ärztin. Sie wusste nicht besser als jeder andere, wie man mit dem geliebten Menschen, der an einem Hirntumor starb, umzugehen hatte, womöglich noch weniger, weil sie zu viel wusste, nach Zeichen suchte, alles interpretierte. Ich sollte einfach so weitermachen. Weitermachen und alles nehmen, wie es kommt. Sage ich das nicht immer?
Leben Sie jeden einzelnen Tag.
    Sie stellte den Wein

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