Der Toten tiefes Schweigen
zurück in den Kühlschrank. Auf der Arbeitsfläche stand eine Schachtel mit Chris’ Medikamenten. Später würde sie alles nach oben bringen.
Sie wusste, wie Zimmer aussahen, in denen Menschen starben, das Klappern von Pillendöschen und Sauerstoffflaschen und Spritzenpumpen. Würde es hier auch so sein? Würde Chris bleiben? Ob sie das schaffte? Und die Kinder?
Der Wind raste über die Weide und schlug gegen das Küchenfenster, und die Scheinwerfer eines Autos strichen über die Einfahrt. Dann stürmte Simon in die Küche und schüttelte sich den Regen ab.
»Hey, Chris, schön, dich wieder zu Hause zu sehen. Wie steht’s?«
Cat hielt die Luft an und wartete auf einen Wutausbruch, eine vernichtende Bemerkung. Sie hielt Simon die Weinflasche hin, doch er schüttelte den Kopf und ließ sich neben seinen Schwager auf das Sofa fallen.
»So lala«, sagte Chris. »Besser, weil ich hier bin. Krankenhäuser sind ätzend.«
»Es soll dir eine Lektion sein, damit du niemanden mehr einweist.«
»Das kann man so sagen. Aber danke der Nachfrage, meinem Kopf geht es verdammt viel besser. Es funktioniert, vermindert den Druck. Ich hatte gedacht, ich hätte nach der Operation größere Schmerzen. Was zeigt, dass sie dir ohne üble Folgen den Schädel aufsägen können.«
»Das werde ich mir merken.«
»Mir wird leicht schlecht, aber gegen Übelkeit gibt es Medikamente. Ich werde müde, aber was soll’s, niemand hält mich vom Schlafen ab. Deshalb geht es mir wohl, alles in allem, recht gut.«
Warum?, dachte Cat, als sie die Vorhänge zuzog, um den Sturm auszusperren. Warum kann er mit mir nicht so reden? Warum hat er es mir nicht erzählt? Warum kann er das alles problemlos Simon sagen und nicht mir? Ich weiß nicht, was hier vorgeht, und es macht mir etwas aus. Es verletzt.
»Gibt es Kaffee?«
Sie nickte.
»Was tut sich an der Verbrecherfront?«, fragte Chris.
Sie redeten weiter so, wie sie sich immer unterhalten hatten, entspannt, und Chris zu hören, wie er lachte, fluchte, ihren Bruder hänselte, ihn zu hören, ohne ihn zu sehen, verlieh ihr das Gefühl, als wäre letzten Endes alles in Ordnung, als ginge es ihm gut, als wäre alles beim Alten. Nichts hätte sich verändert.
Erst als Simon darüber sprach, wie beunruhigt die Polizei wegen des Scharfschützen war, der immer noch frei da draußen herumlief und Gott weiß was plante, warf sie einen Blick auf Chris und sah sein Gesicht, angespannt und ausgemergelt, mit einem eigenartigen, bekümmerten Ausdruck.
»Unsere Nerven sind bis zum Zerreißen gespannt, wir müssen den ganzen Scheißjahrmarkt abdecken, voller Familien mit Kindern, wir haben eine Hochzeit in der Kathedrale, zu der Royals kommen, und dieser verdammte Scharfschütze führt uns an der Nase herum. Ich lasse mir nicht oft den Schlaf durch etwas rauben, aber ich werde in den frühen Morgenstunden wach. Wir müssen ihn stoppen.« Er schlug mit der Hand auf die Sofalehne. »Wir müssen ihn kriegen.«
Ein kurzes Schweigen trat ein, bevor Chris sagte: »Wovon redest du? Welcher Scharfschütze?«
»Wirkt sich ein Hirntumor auf das Gedächtnis aus?«, fragte Simon leichthin.
Cat wartete entsetzt und rechnete damit, dass Chris wütend würde, denn er war ihr gegenüber an dem Tag mehrfach ausfallend geworden, als es um viel, viel weniger gegangen war.
Doch er zuckte nur die Schultern und sagte: »Sieht ganz danach aus.«
Kurz darauf ging er zu Bett, sämtliche Farbe war aus dem Gesicht gewichen. Er war so erschöpft, dass Cat ihm beim Waschen und Ausziehen helfen musste. Er rollte sich im Bett zusammen und stöhnte leise, während er einschlief.
»Kannst du hierbleiben?«, fragte sie Simon, der durch die Fernsehkanäle zappte, als sie wieder nach unten kam.
»Keine Chance, aber ich trinke noch einen Kaffee.«
»Judith und ich sollen die Kinder mit auf den Jahrmarkt nehmen, doch ich frage mich, ob es sicher ist.«
»Ihr werdet nie besser abgesichert sein. Mach dir wegen des Scharfschützen keine Sorge, du hast nicht mal die Chance, dass deine Tasche ausgeraubt wird.«
»Ich hoffe, du hast recht. Leg die verdammte Fernbedienung weg.«
»Entschuldige. Chris sieht schlecht aus, aber er scheint einigermaßen bei Laune zu sein.«
»So sieht es für dich aus.«
»Was sagen die Ärzte denn?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Sie wollen nichts sagen. Können wir über etwas anderes sprechen?«
»Kommt drauf an.«
»Oh, es wird dir nicht gefallen, aber du musst mir zuhören. Zweimal J. Judith
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