Der Totengarten
Frau beim Küchentisch erstochen worden, denn dort befanden sich Blutstropfen auf dem beigefarbenen Teppich, und eine Blutspur führte zur Wohnungstür. An der Tür hatte sich eine große Blutlache gebildet. Die Verletzte musste sich dorthin geschleppt haben in der Hoffnung, Hilfe herbeirufen zu können, ehe sie in der Tür zusammenbrach.
An den Einkäufen interessierte Ramone noch etwas anderes: Außer Grundnahrungsmitteln hatte sie mehrere Becher Fruchtjoghurt mit aufgedruckten Comicfiguren, Lunchables, Fruchtgummi, Zimtchips und Schokopops mitgebracht. Demnach war das Opfer keine besonders ernährungsbewusste Mutter gewesen. Sie war vielmehr eine, die ihr Geld für Dinge ausgab, über die sich ihre Kinder freuten. Ramone musste an seine Frau Regina denken, die es nicht lassen konnte, ihrem Sohn Diego – der immerhin bereits ein Teenager war – und ihrer siebenjährigen Tochter Alana etwas zu naschen mitzubringen. Er hatte ihr oft vorgehalten, dass sie die Kinder zu sehr verwöhnte, insbesondere Diego; dass sie sich von ihm um den Finger wickeln ließ und es nie schaffte, ihm länger als ein paar Minuten böse zu sein; dass sie immer nachgab und ihm jeden Wunsch erfüllte. Nun, wenn das Schlimmste, was ein Mann über seine Frau sagen konnte, war, dass sie ihre Kinder zu sehr liebte, dann konnte er sich wahrhaftig nicht beklagen.
Die Kinder der Ermordeten waren jetzt bei ihrer Tante, sie hatte sie von der Schule abgeholt und mit zu sich nach Hause genommen. Die pflichtbewusste Regina holte Diego immer noch fast täglich von seiner weiterführenden Schule ab, sosehr Ramone auch protestierte, dass sie den Jungen verzärtelte.
Nur gut, dass die Kinder aus dieser Wohnung ihre Mutter nicht tot sehen mussten. Sie hatte zahlreiche Stichwunden im Gesicht, an den Brüsten und am Hals. Die Drosselvene war durchtrennt worden, das erklärte die extreme Menge Blut. Wie mehrere Schnitte an den Fingern und eine durchstochene Handfläche zeigten, hatte sich das Opfer gewehrt. Und die Frau hatte ihren Darm entleert; die weiße Uniform war von den Exkrementen braun verfärbt.
Ramone und Willis sahen sich in der Wohnung um, wobei sie darauf achteten, den Kollegen von der Spurensicherung nicht im Weg zu sein. Beide waren zu ähnlichen Schlussfolgerungen gekommen, auch wenn sie sich noch nicht darüber ausgetauscht hatten: Das Opfer hatte den Täter offenbar gekannt, denn die Wohnungstür wies keine Einbruchsspuren auf. Außerdem hatte die Messerstecherei fast sieben Meter vom Eingang entfernt stattgefunden, nahe dem Tisch. Die Frau hatte den Angreifer demnach in ihre Wohnung gelassen. Dieser Mord hatte nichts mit Drogen zu tun, es ging weder um die Beseitigung einer Zeugin, noch um Rache an der Verwandten eines Widersachers. Messerstechereien kamen überhaupt nur ganz selten im Zusammenhang mit kriminellen Machenschaften vor; fast immer steckten persönliche Motive dahinter.
Die Handtasche des Opfers lag auf dem Tisch, doch darin befanden sich weder Portemonnaie noch Schlüssel. Auf Ramones Nachfrage erklärte der Hausmeister, die Ermordete – Jacqueline Taylor – habe einen Toyota Corolla neueren Modells gefahren. Jetzt war das Auto weg. Ramone folgerte, dass der Täter Geld, Kreditkarten, Autoschlüssel und das Fahrzeug selbst entwendet hatte. Für die Ermittlungen war das von Vorteil: Wenn der Täter die Kreditkarte benutzte, konnte man das nachverfolgen. Auch ein gestohlenes Fahrzeug machte es leichter, den Täter aufzuspüren.
Das Opfer war eine alleinerziehende Mutter. In ihrer Kommode fand sich etwas Herrenunterwäsche, hauptsächlich T-Shirts Größe XXL und Boxershorts mit Taillenweite vierunddreißig, was darauf hindeutete, dass sie regelmäßig Besuch von einem erwachsenen Mann hatte, der jedoch nicht dauerhaft bei ihr wohnte. In dem zweiten Schlafzimmer standen zwei kleinere Betten, eins mit geblümter Bettwäsche, das andere mit aufgedruckten Redskins-Helmen auf den Bezügen. Das Zimmer war vollgestopft mit Puppen, Action-Figuren, Plüschtieren und Sportausrüstung, darunter auch ein Mini-Basketball und ein Football der Marke Kz. Grundschulfotografien der beiden Kinder, Junge und Mädchen, standen im Wohnzimmer auf einem Tischchen.
Die Verstorbene war Krankenschwester gewesen. In ihrem Kleiderschrank im Schlafzimmer hing eine Schwesternuniform, und eine ebensolche hatte sie getragen, als sie gefunden wurde. Der Hausmeister bestätigte, dass sie im D.C. General Hospital gearbeitet hatte. Jetzt lag sie in
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