Der Totengarten
halb so hoch wie vor zehn Jahren.«
»Weil die meisten Arschlöcher hinter Schloss und Riegel sitzen«, sagte Bonano.
»Von wegen, die Gewalttäter sind bloß nach P. G. County abgewandert«, widersprach Fink. »Da draußen gab es dieses Jahr mehr Morde als im Distrikt. Von Überfällen und Vergewaltigungen ganz zu schweigen.«
»Kein Wunder«, sagte West. »Weiße und bessergestellte Schwarze ziehen in die Stadt zurück und verdrängen die ärmeren Schwarzen raus nach P. G. Scheiße. Seht euch doch nur die Gegenden zwischen dem Beltway und der Southern Avenue an – Capitol Heights, District Heights, Hillcrest Heights …«
»All diese Heights« , fiel Bonano kopfschüttelnd ein. »Verdammt, als würden da auf grünen Hügeln Schlösser stehen oder so. Herrgott. Und von Suitland wollen wir mal gar nicht reden. Die beschissenste Gegend weit und breit.«
»Genau wie vor zehn Jahren in Southeast«, bemerkte Fink.
»So ist nun mal die Kultur«, sinnierte Bonano. »Wie soll man daran jemals was ändern, verdammt?«
»Der neunte Bezirk«, sagte Fink. So wurde Prince George’s County mal liebevoll, mal abwertend bezeichnet. Es sollte ausdrücken, dass der Bezirk kein bisschen besser als die östlichen, von Kriminalität geplagten, hauptsächlich von Schwarzen bewohnten Gegenden von D.C. war.
»Was erwartest du?«, entgegnete West. »Armut ist Gewalt.«
»Tatsächlich, Hillary?«, versetzte Bonano.
»Niemand kümmert sich mehr um das Gesetz«, sagte Holiday sehr leise. Er starrte in sein Glas, ließ die Eiswürfel klimpern und trank dann in einem Zug aus. Anschließend nahm er Zigaretten und Handy vom Tresen und stand auf.
»Wohin gehst du?«, fragte Fink.
»Arbeiten«, antwortete Holiday. »Ich hab einen Flughafentransfer.«
»Mach’s gut, Doc«, sagte Bonano.
»Gentlemen«, grüßte Holiday.
Holiday trat aus Leo’s Bar in den strahlend hellen Tag hinaus. Er trug ein weißes Hemd unter einem schwarzen Anzug. Seine Mütze lag im Wagen.
VIER
Die Detectives Ramone und Green durchquerten das Großraumbüro des Violent Crime Branch, einen fensterlosen Raum mit unregelmäßig aufgereihten Schreibtischen. Hier ermittelten Dutzende von Detectives in Mordfällen und anderen schweren Gewaltverbrechen – Verbrechen, von denen manche sagten, die Opfer wären besser dran, wenn sie nicht überlebt hätten. Als die beiden Detectives den Raum betraten, gratulierten ein paar Kollegen. Es waren auch einige Seitenhiebe darüber zu hören, dass Green die eigentliche Arbeit geleistet hatte und Ramone nun die Lorbeeren einheimsen konnte. Ramone nahm es den Kollegen nicht übel. Jeder hatte seine Stärken, und Green war nun einmal in der Vernehmungszelle ein Ass. Ramone nahm jede Unterstützung gern an – Hauptsache, die Tat wurde aufgeklärt. Wobei in diesem Fall eigentlich von Anfang an alles wie am Schnürchen gelaufen war.
Am Vortag war Ramone gerade auf dem Sprung gewesen, als die Meldung hereinkam, der Hausmeister eines Apartmenthauses habe in einer offenen Wohnungstür eine Leiche entdeckt. Ramone sollte die Ermittlungen leiten. Rhonda Willis – seine Partnerin, wenn man es denn so nennen konnte – würde ihn unterstützen.
Mehrere Streifenpolizisten und ein Lieutenant vom 7D warteten schon vor dem Haus, als Gus Ramone und Rhonda Willis eintrafen. Es war einer von mehreren klotzigen Apartmentblocks auf einem kurzen Abschnitt der Cedar Street S.E., der von der 14th abging und in einen Hof mündete. Tatort war eine Wohnung in der zweiten Etage.
Ein paar Stunden später, nachdem das Opfer in einem Leichensack abtransportiert worden war, waren Ramone und Willis immer noch im Wohnzimmer des Apartments. Sie sprachen wenig miteinander, verständigten sich hauptsächlich durch Blicke. Ein paar Uniformierte standen vor der Tür im Treppenhaus, in dem es schwach nach Marihuana und frittiertem Essen roch. Während die Techniker von der Spurensicherung und ein Fotograf ruhig und sorgfältig ihrer Arbeit nachgingen, starrte Ramone auf den Esstisch in einem offenen Bereich neben dem Wohnzimmer, nahe einer Durchreiche zur Küche.
Seine Aufmerksamkeit galt den Einkäufen. Sie waren zum Teil aus der umgekippten Papiertüte herausgefallen und lagen über den Tisch verteilt – selbst verderbliche Lebensmittel, was bedeutete, dass das Opfer zum Zeitpunkt des Überfalls gerade erst vom Einkaufen zurückgekehrt war und noch nicht dazu gekommen war, Milch, Käse und Hühnchen in den Kühlschrank zu räumen. Wahrscheinlich war die
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