Der Totengarten
kleinen, vielsagenden Lächeln.
»Ganz recht«, bestätigte Mr. Guy und warf einen Blick auf sein Klemmbrett. »Ich habe Diego zu mir gerufen, um mit ihm über den Hergang zu sprechen, aber er hat sich geweigert, meine Fragen zu beantworten.«
»Lassen Sie mich klarstellen, ob ich Sie recht verstanden habe«, sagte Ramone. »Diego war also Zeuge eines fairen Kampfes außerhalb des Schulgeländes, an dem, soweit ich sehe, zwei Jungen beteiligt waren. Es ist nicht etwa so, dass sich mehrere gegen einen Einzelnen verbündet hätten oder dergleichen.«
»Das trifft im Prinzip zu. Aber der andere Junge ist bei der Auseinandersetzung zu Schaden gekommen.«
»Und was genau hat Diego Unrechtes getan?«
»Nun«, schaltete sich Ms. Brewster ein, »zunächst einmal hat er nichts unternommen. Er hätte eingreifen können, um den Kampf zu beenden, aber stattdessen hat er nur zugesehen.«
»Sie suspendieren ihn wegen Untätigkeit?«
»Im Wesentlichen, ja«, bestätigte Ms. Brewster. »Deshalb und wegen Aufsässigkeit.«
»Er hat sich geweigert, meine Fragen im Rahmen der Untersuchung zu beantworten«, fügte Mr. Guy hinzu.
»Schwachsinn«, platzte Ramone heraus, dem das Blut zu Kopf gestiegen war.
»Ich muss Sie bitten, auf Ihre Ausdrucksweise zu achten«, wies ihn Ms. Brewster zurecht, die gefalteten Hände vor sich auf der Schreibtischplatte.
Ramone stieß langsam die Luft aus.
»Diego hätte uns helfen können, diese Angelegenheit aufzuklären«, sagte Mr. Guy. »Stattdessen hat er sich unseren Bemühungen in den Weg gestellt.«
»Wissen Sie was?«, entgegnete Ramone. »Ich bin froh, dass mein Sohn Ihre Fragen nicht beantwortet hat.«
Ms. Brewster blinzelte mehrmals rasch, ein nervöser Tick, den sie bis zu diesem Moment erfolgreich unterdrückt hatte. »Sie sollten doch am allerbesten wissen, wie entscheidend Kooperation in Angelegenheiten wie dieser ist.«
»Diese Angelegenheit ist kein Mordfall. Jungs prügeln sich nun mal. Sie testen Grenzen aus und lernen dabei etwas fürs Leben. Und es war weder ein unfairer Kampf, noch wurde jemand ernsthaft verletzt.«
»Der Junge hat einen Schlag ins Gesicht bekommen«, widersprach Mr. Guy.
»Das kommt vor, wenn man einen Kampf verliert«, konterte Ramone.
»Ich sehe, dass wir diese Angelegenheit aus extrem verschiedenen Blickwinkeln betrachten«, stellte Ms. Brewster fest.
»Ich habe meinen Sohn nicht dazu erzogen, seine Freunde zu verpetzen«, sagte Ramone, wobei er Ms. Brewster ansah und Mr.Guy demonstrativ ignorierte. »Von jetzt an wird Toby Morrison wissen, was für einen Freund er in Diego hat und dass er sich immer auf ihn verlassen kann. Und Diego wird draußen auf der Straße an Achtung gewonnen haben. Das ist mir und meinem Sohn wichtiger als Ihre Vorschriften.«
»Diego schützt ein gefährliches Kind«, protestierte Ms. Brewster.
»Wie bitte?«
»Toby Morrison ist ein gefährlicher junger Mann.«
Jetzt weiß ich, woher der Wind weht, dachte Ramone.
»Er ist ein durchsetzungsfähiger junger Mann, Ms. Brewster«, widersprach Ramone. »Ich kenne Toby. Er spielt im selben Footballteam wie mein Sohn. Er hat uns schon oft besucht und ist uns immer willkommen. Wenn Sie den Unterschied zwischen gefährlich und durchsetzungsfähig nicht kennen –«
»Ich kenne den Unterschied sehr wohl.«
»Ich hätte da noch eine Frage«, fuhr Ramone fort. »Es gibt doch an dieser Schule sicher auch ein paar weiße Schüler, die sich ebenfalls prügeln. Haben Sie jemals hier in diesem Büro gesessen und diese Kinder als gefährlich bezeichnet?«
»Ich bitte Sie«, entgegnete Ms. Brewster mit einer abwehrenden Handbewegung und einem falschen, verkniffenen Lächeln. »Ich bin Leiterin einer Schule, deren Schülerschaft zu mehr als fünfzig Prozent aus Afroamerikanern und Hispaniern besteht. Glauben Sie wirklich, man hätte mir diesen Posten übertragen, wenn ich nicht Einfühlungsvermögen und Verständnis für Schüler aus Minderheiten aufbrächte?«
»Offenbar hat da jemand einen Fehler gemacht«, stellte Ramone fest. »Sie teilen diese Kinder nach Testergebnissen ein. Sie sehen die Hautfarbe, und Sie sehen Probleme, aber niemals das Potenzial. Daraus entsteht sehr schnell eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Und dass Sie einen Schwarzen die Drecksarbeit für sich machen lassen, entschuldigt das auch nicht.«
»Augenblick mal«, protestierte Mr. Guy.
»Ich spreche mit Ms. Brewster, nicht mit Ihnen«, fuhr Ramone ihm über den Mund.
»So etwas muss ich mir
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