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Der Totengarten

Der Totengarten

Titel: Der Totengarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Pelecanos
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bedeuten.«

FÜNFZEHN
    Ramone ging in die Küche, Regina lehnte an der frei stehenden Arbeitstheke, ein Glas Chardonnay in der Hand. Es kam selten vor, dass sie so früh am Tag Alkohol trank. Sie hatte Hühnchen gegrillt, dazu grüne Bohnen und Salat zubereitet, und jetzt war das Essen fertig. Er küsste sie und erzählte ihr, wo er gerade herkam und wie es gewesen war.
    »Hast du Helena gesehen?«
    »Nein. Sie lag im Bett.«
    »Ich werde morgen mal vorbeischauen und einen Auflauf oder so was mitbringen, damit sie sich keine Gedanken ums Essen machen müssen.«
    »Die können sich vor Aufläufen schon nicht mehr retten«, erwiderte Ramone.
    »Dann rufe ich Marita an. Sie macht sich zwar gern wichtig, aber organisieren kann sie. Wir können vielleicht einen Plan aufstellen, wer wann was kocht und vorbeibringt.«
    »Das ist eine gute Idee«, sagte Ramone. »Wo sind die Kinder?«
    »Sie haben schon gegessen. Jetzt sind sie oben in ihren Zimmern.«
    »Ich habe vorhin mit Diego telefoniert und hatte den Eindruck, er verkraftet es ganz gut.«
    »Er hatte keine Gefühlsausbrüche, wenn du das meinst. Aber er ist ziemlich still, seit ich es ihm gesagt habe.«
    »Du kennst ihn doch«, erwiderte Ramone. »Er glaubt, er muss ein harter Kerl sein, sogar in so einer Situation. Er schluckt alles hinunter.«
    »Ganz im Gegensatz zu dir, wie?«, sagte Regina. »Die Schule hat ihn heute übrigens etwas früher nach Hause geschickt.«
    »Was war denn jetzt schon wieder?«
    »Das soll er dir selbst erzählen.«
    Ramone schloss seine Dienstmarke und die Waffe ein und ging hinauf in Alanas Zimmer. Sie hatte all ihre Plastikpferdchen in einer Reihe aufgestellt und war gerade dabei, ihre kleineren Puppen, Barbies und Groovy Girls in die Sättel zu setzen. Sie mochte es, wenn all ihre Sachen geordnet waren.
    »Wie geht es meinem kleinen Mädchen?«, fragte Ramone.
    »Gut, Daddy.«
    Er gab ihr einen Kuss auf den Kopf und roch an ihren Locken.
    Alanas Zimmer war immer tadellos aufgeräumt; das war ihr sehr wichtig. Ganz anders als Diego, in seinem Zimmer herrschte Chaos. Er schaffte es nicht, sich zu organisieren, und das galt nicht nur für sein Zimmer. Er notierte sich seine Hausaufgaben nicht, und selbst wenn er eine Arbeit pünktlich erledigt hatte, gab er sie oft zu spät ab.
    »Wir sollten ihn testen lassen«, hatte Regina einmal gesagt. »Vielleicht hat er Lernstörungen.«
    »Er ist einfach ein Chaot«, hatte Ramone erwidert. »Ich brauche niemanden bezahlen, der mir das sagt.«
    Regina hatte Diego dennoch testen lassen. Die Psychologin, oder was immer sie war, hatte gesagt, Diego habe eine Störung der exekutiven Funktionen, deshalb falle es ihm schwer, seinen Tagesablauf und seine Gedanken zu organisieren. Dadurch hinke er auch in der Schule hinterher.
    »Er hat einfach keine Lust, seine Hausaufgaben zu machen, weiter nichts«, widersprach Ramone. »Ich weiß doch Bescheid.«
    »Sieh dir nur sein Zimmer an«, wandte Regina ein. »Man kann nicht einmal zwischen frischer und getragener Kleidung unterscheiden. Er schafft es nicht, die Sachen auseinanderzuhalten.«
    »Er ist schlampig«, beharrte Ramone. »Schön, dass es neuerdings einen Fachausdruck dafür gibt. Das neue Wort hat mich einen Tausender gekostet.«
    »Gus.«
    Ramone musste an jenes Gespräch zurückdenken, als er jetzt an die Zimmertür seines Sohnes klopfte, sie öffnete und das Durcheinander von T-Shirts und Jeans auf dem Boden sah. Diego lag auf dem Bett, hatte Kopfhörer auf und hörte Go-go, während er mit glasigem Blick in ein aufgeschlagenes Buch starrte. Als er seinen Vater bemerkte, nahm er die Kopfhörer ab und drehte die Lautstärke herunter.
    »Hallo, Diego.«
    »Hi, Dad.«
    »Was machst du da?«
    »Ich lese.«
    »Wie kannst du lesen und gleichzeitig Musik hören?«
    »Ich bin eben multitaskingfähig.«
    Diego setzte sich auf die Bettkante und ließ das Buch fallen. Er sah müde aus und enttäuscht darüber, dass sein Vater ihm schon wieder denselben Vortrag hielt. Ramone hätte sich am liebsten selbst dafür in den Hintern getreten, dass er an einem Tag wie diesem an Diego herumkritisierte, es war ihm aus Gewohnheit herausgerutscht.
    »Hör zu, ich hätte nicht -«
    »Schon gut.«
    »Alles in Ordnung?«
    »Wir waren nicht so richtig eng befreundet. Das weißt du ja.«
    »Aber ihr wart Freunde.«
    »Ja, ich und Asa, wir haben uns schon gut verstanden.»Diego machte ein schnalzendes Geräusch mit der Zunge, wie er und seine Freunde es oft taten. »Aber ich

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