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Der Totengarten

Der Totengarten

Titel: Der Totengarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Pelecanos
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erwarten Sie wahrscheinlich bereits. Wenn Sie mit weiteren Lehrern sprechen möchten – Sport, Gesundheitslehre, Physik oder was auch immer –, kann ich das natürlich einrichten.«
    Ms. Best schob einen Zettel mit den Raumnummern und den Namen der Lehrer über den Schreibtisch. Ramone faltete ihn und steckte ihn in seine Brusttasche.
    »Haben Sie schon mit Detective Bill Wilkins gesprochen? Er leitet die Ermittlungen.«
    »Ja, er hat mich angerufen. Er bat uns, Asas Spind nicht auszuräumen, ehe er sich den Inhalt angesehen hat.«
    »Das ist gut«, sagte Ramone. Allmählich kam er zu dem Schluss, dass er Wilkins unterschätzt hatte.
    »Möchten Sie vielleicht selbst einen Blick hineinwerfen?«
    »Sobald ich mit Asas Lehrern gesprochen habe.« Ramone tippte mit seinem Stift auf den kleinen Spiralblock auf seinem Schoß. »Ich bin neugierig – Sie sagten eben, dass Asas Tod unter den Mitschülern nicht gerade überwältigende Trauer ausgelöst hat.«
    »Ich habe das nicht negativ gemeint.«
    »Ich habe das auch nicht so aufgefasst. Ich wüsste nur gern, welchen Eindruck Sie von Asa hatten.«
    »Ich hatte in den vergangenen zwei Jahren kaum Kontakt zu ihm«, erwiderte Ms. Best. »Wir haben nur selten miteinander gesprochen. Er war eher still, keine Disziplinarprobleme. Ich würde ihn nicht als temperamentvoll bezeichnen. Er war weder besonders beliebt noch unbeliebt.«
    »Sie meinen, er war gewissermaßen ein Kind ohne Eigenschaften.«
    »Das haben Sie gesagt.«
    »Bitte, das hier ist nicht für das offizielle Protokoll. Sie können frei sprechen.«
    »Asa war kein Schüler, der einen starken Eindruck bei mir hinterlassen hätte. Das ist die ehrlichste Einschätzung, die ich Ihnen geben kann.«
    »Ich weiß Ihre Offenheit zu schätzen.«
    »Wie geht es Diego?«, erkundigte sich Ms. Best.
    »Um ehrlich zu sein: An seiner neuen Schule draußen im County läuft nicht alles rund.«
    »Er ist hier jederzeit wieder willkommen.«
    »Ich danke Ihnen, Ms. Best. Jetzt werde ich mit den Lehrern sprechen.«
    »Viel Erfolg.«
    Ramone fand den Raum von Asas Englischlehrerin in der ersten Etage, allerdings leer. Während er wartete, sah er sich ein wenig um. Zusammengeknüllte Papiere lagen auf dem Boden und in den überquellenden Abfallkörben. Die Tische und Stühle, die aussahen, als stammten sie noch aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise, standen in kaum erkennbarer Ordnung im Raum verteilt.
    Auf die Tafel hatte die Lehrerin ein paar Zitate von Dr. King, James Baldwin und Ralph Allison geschrieben. Außerdem standen dort zwei Notizen: die Ankündigung eines Tests und eine Erinnerung an die Schüler, ihre Tagebücher auf den neuesten Stand zu bringen. Nach einer Weile verließ Ramone das Klassenzimmer, ohne Ms. Cummings, die Englischlehrerin, getroffen zu haben.
    Mr.Bolton, Asas Lehrer in Algebra I, erwartete ihn in Raum 312. Ganz anders als das Klassenzimmer der Englischlehrerin war das von Bolton sauber und ordentlich. Er stand auf und kam hinter seinem Pult hervor, um Ramone zu begrüßen.
    Bolton war ein Mann Ende dreißig mit schokoladenbrauner Haut. Er trug eine Stoffhose, ein faltenfreies Oxfordhemd und Halbschuhe mit Schnallen. Die Kleidung wirkte nicht besonders teuer – kein Wunder bei Boltons magerem Gehalt –, aber er hatte sichtlich Sorgfalt darauf verwandt. Ramone hatte einen Nerd erwartet; stattdessen sah er einen gutgebauten Mann vor sich, der ordentlich gekleidet und glatt rasiert war. Wegen seiner seltsam geformten, großen Nase hätte ihn niemand als gut aussehend bezeichnet. Seine Augen jedoch waren groß und strahlend.
    »Detective Ramone?«, empfing ihn Bolton.
    »Mr.Bolton.« Ramone schüttelte ihm die Hand.
    »Nennen Sie mich Robert.«
    »Okay. Ich werde Sie nicht zu lange aufhalten.«
    »Ich freue mich, wenn ich Ihnen helfen kann.«
    Ramone zückte Stift und Notizbuch. »Wann haben Sie Asa Johnson zum letzten Mal gesehen?«
    »In meinem Unterricht, am Tag seines Todes.«
    »Das heißt, am Dienstag.«
    »Richtig. Und dann am selben Tag noch einmal nach Schulschluss.«
    »Warum, musste er nachsitzen?«
    »Nein, im Gegenteil. Er holte sich Extra-Aufgaben ab. Mathematik lag ihm ganz besonders, Detective. Er hatte eine Vorliebe dafür, schwierige Aufgaben zu lösen. Asa war einer meiner besten Schüler.«
    »Was haben Sie ihm gegeben?«
    »Nur ein paar Arbeitsblätter, mit denen er sich Sonderpunkte verdienen konnte.«
    »Erschien er Ihnen an diesem Nachmittag irgendwie verstört oder

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