Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Totengarten

Der Totengarten

Titel: Der Totengarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Pelecanos
Vom Netzwerk:
aufgewühlt?«
    »Nein, ich fand sein Benehmen nicht auffällig.«
    »Können Sie … Hatten Sie jemals den Verdacht, dass er in irgendetwas Unrechtes verwickelt war?«
    »Mir ist nicht klar, worauf Sie hinauswollen.«
    »Ich will auf nichts Bestimmtes hinaus. Ich wüsste nur gern, wie Sie über ihn denken.«
    »Es ist ein Vorurteil zu glauben, die meisten jungen Leute im Distrikt seien in gesetzwidrige Machenschaften verstrickt. Sie müssen begreifen, dass die ganz große Mehrheit dieser Schüler nichts mit Autodiebstahl oder Drogengeschäften zu tun hat.«
    »Das ist mir bewusst.«
    »Es sind Kinder. Pressen Sie sie nicht in Stereotypen, nur weil sie Afroamerikaner sind und in D.C. leben.«
    Afroamerikaner. Vor Jahren hatte Diego einmal zu seinem Vater gesagt: »Sag das bloß nicht zu meinen Freunden, die lachen dich alle aus. Wir sind schwarz , Dad.«
    Ramone schenkte Bolton sein Cop-Lächeln, das nicht viel mit einem echten Lächeln gemein hatte. »Ich wohne selbst hier, Sir.«
    Bolton verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich wollte nur sagen, dass manche Leute manchmal voreilig falsche Schlüsse ziehen.«
    Ramone schrieb die Worte defensiv und Arschloch auf seinen Block.
    »Fällt Ihnen sonst noch irgendetwas ein, das für die Ermittlungen von Belang sein könnte?«, fragte Ramone.
    »Nein, bedaure. Ich habe mir die Sache wieder und wieder durch den Kopf gehen lassen. In meinen Augen war Asa ein fröhlicher junger Mann, der sich gut in seinem Umfeld zurechtfand.«
    »Ich danke Ihnen.« Ramone schüttelte Boltons kräftige Hand.
    Anschließend ging er wieder in Andrea Cummings’ Klassenraum. Ms. Cummings war jung, noch in den Zwanzigern, groß, mit langen Beinen und dunkler Haut. Auf den ersten Blick wirkte sie unscheinbar, aber aus der Nähe betrachtet war sie hübsch, vor allem wenn sie lächelte. Was sie auch tat, als Ramone eintrat.
    »Ich bin Detective Ramone. Ich dachte schon, ich hätte Sie verpasst.«
    »Himmel, nein. Ich habe hier nach Unterrichtsschluss noch eine ganze Menge zu erledigen. Ich habe mir nur kurz etwas zu trinken geholt.«
    Ramone zog sich einen Stuhl heran und setzte sich ihr gegenüber an das Pult.
    »Seien Sie vorsichtig«, warnte ihn Ms. Cummings. »Das Ding muss sechzig Jahre alt sein.«
    »Einiges von diesem Kram gehört ins Museum und nicht in ein Klassenzimmer.«
    »Wenn das mal unser größtes Problem wäre. Im Augenblick haben wir nicht einmal Papier und Bleistifte. Die meisten Materialien, die Sie hier sehen, kaufe ich von meinem eigenen Geld. Ich sage Ihnen, da klaut irgendwer. Ob es die Juristen sind oder die Handwerker oder einfach nur jemand in der Verwaltung – irgendwer wirtschaftet in die eigene Tasche, und das ist schlicht und einfach Diebstahl. Diese Leute bestehlen Kinder. Wenn Sie mich fragen – wer immer es ist, er soll in der Hölle schmoren.«
    Ramone schmunzelte. »Sie sagen, was Sie denken.«
    »Oh, damit hatte ich nie ein Problem.«
    »Sie kommen aus Chicago?«
    »Wissen Sie, ich werde diesen Akzent einfach nicht los. Ich bin in einer Sozialsiedlung aufgewachsen, habe die ersten Jahre nach dem Studium in meinem Viertel unterrichtet. Die Schule dort war weit unterdurchschnittlich ausgestattet, aber so etwas wie hier habe ich noch nicht erlebt.«
    »Ich wette, Sie sind bei Ihren Schülern beliebt.«
    »Hmm. Sie fangen gerade an, mich zu mögen. Meine Philosophie ist, sie zu Schulbeginn erst mal ein bisschen einzuschüchtern. Eine versteinerte Miene aufzusetzen, damit sie von Anfang an begreifen, wer das Sagen hat. Mögen können sie mich später noch. Oder auch nicht. Ich will, dass sie hier etwas lernen. So sollen sie sich an mich erinnern.«
    »Was ist mit Asa Johnson? Hatten Sie ein gutes Verhältnis zu ihm?«
    »Asa war in Ordnung. Ich hatte nie Probleme mit ihm, er hat immer seine Arbeit gemacht. Und sein Benehmen war auch gut.«
    »Mochten Sie ihn?«
    »Ich habe geweint, als ich es erfuhr. Ich meine, wenn ein Kind getötet wird – das muss einen doch berühren.«
    »Aber mochten Sie ihn?«
    Ms. Cummings lehnte sich zurück. »Lehrer haben ihre Lieblingsschüler, genau wie Eltern ihre Lieblingskinder haben, auch wenn man es nicht zugeben will. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten wollte, dass er einer meiner Lieblinge war. Aber deshalb war er noch lange kein schlechter Kerl.«
    »Hatten Sie den Eindruck, dass er glücklich war?«
    »Nicht besonders. Man konnte schon an seiner Haltung sehen, dass ihn etwas bedrückte. Außerdem hat er nur selten

Weitere Kostenlose Bücher