Der Totengarten
oder?«
»Sicher nicht, Kumpel.« Sie schlugen die Fäuste gegeneinander. »Wir sehen uns beim Training.«
»Okay, bis dann.«
Diego ging zur Bushaltestelle. Dabei sah er sich noch einmal nach dem Laden um. Tatsächlich hatten er und Toby dort früher schon mal den einen oder anderen Schokoriegel geklaut. Aber das konnte der Typ mit dem Turban doch nicht wissen. Wie konnte der sie so diskriminieren?
An der Bushaltestelle rief Diegos Mutter an.
»Wo bist du?«, fragte Regina.
»Ich warte gerade auf die 12. Wahrscheinlich mache ich noch bei den Sportplätzen halt und spiele ein bisschen. Und heute Abend hab ich Training.«
»Und die Hausaufgaben?«
»Die hab ich in der Freistunde gemacht«, sagte Diego. Er hatte die Hälfte seiner Hausaufgaben bereits erledigt, also war es nur eine halbe Lüge.
»Bleib nicht zu lange«, sagte Regina.
»Okay.«
»Ich hab dich lieb.«
»Ich dich auch, Mom«, sagte Diego so leise, dass die Typen, die neben ihm an der Bushaltestelle saßen, es nicht hörten.
Gleich darauf kam der Bus, und Diego stieg ein.
Ramone rief Regina an und sagte ihr, dass es noch etwas dauern würde, bis er nach Hause kam. Er fragte nach Alana und Diego, und sie sagte ihm, Alana sei in ihrem Zimmer und Diego spiele bei der Coolidge Basketball. Ramone war gerade in der Gegend, also fuhr er bei den Sportplätzen vorbei.
Diego sah ihn zuerst. Er hob den Kopf, als er das Geräusch des näher kommenden Tahoe hörte; er erkannte das Quietschen der Stoßdämpfer. Diego war gerade mitten in einem Spiel zwei gegen zwei, er und Shaka gegen die Spriggs-Zwillinge. Ronald und Richard verloren wieder einmal und machten die üblichen blöden Bemerkungen über ihre Gegner und deren Angehörige. Vorhin hatten die vier über Asa gesprochen und Vermutungen über seine Ermordung angestellt. Die Spriggs-Jungen hatten ihn an dem betreffenden Tag noch gesehen, genau wie Diego und Shaka. Niemand wusste irgendetwas über den Mord, aber sie hatten das Bedürfnis zu reden. Sie alle fühlten sich irgendwie schuldig, weil sie Asa im vergangenen Jahr mehr oder weniger den Rücken gekehrt hatten. Aber er hatte sich auch von ihnen abgewandt. Trotzdem tat es einfach weh. Sie hielten sich zwar für harte Großstadtkids, aber dies war das erste Mal, dass ein Freund von ihnen, den sie von klein auf gekannt hatten, einem Verbrechen zum Opfer gefallen war.
Gus Ramone ging auf die Spielfelder zu. Mit seiner Sonnenbrille, dem dunkelblauen Anzug, der förmlichen Krawatte und seinem schwarzen Schnurrbart war er vom Scheitel bis zur Sohle ein Cop. Er schüttelte Shaka die Hand und begrüßte auch Ronald und Richard jeweils korrekt mit Namen, obwohl sie eineiige Zwillinge waren. Er konnte sie daran unterscheiden, dass Ronald verspieltere, intelligentere Augen hatte. Ramone kannte diese Freunde seines Sohnes schon, seit sie kleine Jungen gewesen waren.
Ramone legte Diego den Arm um die Schultern, und die beiden gingen langsam auf die Straße zu. Ein paar Minuten später kehrte Diego zum Spielfeld zurück, und Ramone stieg in seinen Tahoe und fuhr davon.
»Detective Ramone«, bemerkte Shaka. »Sah ziemlich ernst aus.«
»Ich dachte schon, er nimmt dich mit auf die Wache oder so«, ergänzte Ronald Spriggs.
»Was wollte er?«, fragte Richard.
Er hat mir gesagt, ich soll zu Hause sein, bevor es dunkel wird. Er hat mich gefragt, wie es heute in der Schule war. Er hat mir gesagt, dass er mich liebhat. Genau wie meine Mom es am Telefon immer sagt, bevor sie auflegt.
»Nichts Besonderes«, sagte Diego zu Richard. »Er hat mir nur gesagt, ich soll euch Nigger fertigmachen.«
»Deine Mutter ist auch ein Nigger«, stellte Ronald fest.
Diego sagte nur: »Her mit dem Ball.«
ZWEIUNDZWANZIG
Raymond Benjamin lebte in einer neuen, gutausgestatteten Wohnanlage abseits der U Street, zwischen 9th und 10th, im neuen Shaw. Sämtliche Möbel und Elektrogeräte in seiner Wohnung hatte er bar bezahlt. Bei der Steuerbehörde war Benjamin als selbständiger »zertifizierter Gebrauchtwagenhändler« eingetragen. Genauer gesagt unternahm er mehrmals im Monat Reisen in den Norden von New Jersey, um bei Auktionen für seine Klienten in D.C. Automobile der Oberklasse zu erwerben, die erst wenige Kilometer auf dem Zähler hatten. Dank seiner Kenntnisse und Erfahrungen in diesem Bereich gelang es ihm, einen Mercedes, Cadillac, BMW oder Lexus bis zu zehntausend Dollar billiger zu ersteigern, als das entsprechende Modell beim Gebrauchtwagenhändler gekostet hätte.
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