Der Totengarten
Gegen ein Honorar von tausend Dollar lieferte er seinen Kunden diese Wagen persönlich, generalüberholt und in bestem Zustand.
Auf den ersten Blick war Benjamin ein angesehener, rechtschaffener Geschäftsmann. Fünf Jahre waren vergangen, seit er seine Gefängnisstrafe wegen Drogenhandels verbüßt hatte. Die Bewährungsfrist war abgelaufen, und er war allem Anschein nach sauber geblieben.
Tatsächlich hatte Benjamin zwar selbst keine Drogen mehr angerührt, aber Geld aus Drogengeschäften nahm er durchaus in die Hände. Er war mit den Söhnen seines alten Verbindungsmannes in New York in Kontakt geblieben, eines Kolumbianers, der jetzt im Gefängnis saß, und Benjamin vermittelte weiterhin Transaktionen zwischen Dealern in Washington und der Quelle oben im Norden, finanzierte sie teilweise auch, ohne selbst unmittelbar daran beteiligt zu sein. Er konnte genauso gut den besten Preis für Heroin erzielen wie Autos herunterhandeln, und die Qualität des Stoffes war gleichbleibend hoch. Für ihn sprangen dabei beträchtliche Summen heraus, sodass er den Lebensstandard halten konnte, an den er sich gewöhnt hatte, als er noch selbst ein Top-Dealer gewesen war.
Die Risiken waren relativ gering. Seine Assistenten führten die Gespräche und verwendeten am Telefon eine Art Code, eine Geheimsprache, die Benjamin selbst entwickelt hatte. Außerdem führten sie geschäftliche Telefonate über Wegwerfhandys, die man schlecht bis gar nicht abhören konnte. Mit seinen fünfunddreißig Jahren genoss Raymond Benjamin das Leben mehr als je zuvor.
Außer an Tagen wie diesem. Benjamins ältere Schwester, Raynella Reese, stand vor ihm in seiner Wohnung, wo er in einem Deko-Stil-Sessel saß. Raynella hatte eine Hand auf die Hüfte gestemmt und zeigte mit dem ausgestreckten Zeigefinger der anderen auf sein Gesicht. Sie war eine auffallend große Frau, und ihr Name war wie die Namen aller ihrer Geschwister von dem des Mannes abgeleitet, der sie gezeugt hatte: Big Ray Benjamin, seinerzeit ein einflussreicher Mann mit vielen Verbindungen im 14th-Street-Korridor.
Außer den beiden war auch Tommy Broadus anwesend. Er saß ebenfalls in einem Sessel, der unter seinem Gewicht nachgab. Broadus starrte auf seine Schuhe.
An der Tür standen zwei von Benjamins Mitarbeitern: Michael »Mikey« Tate und Ernest »Nesto« Henderson. Offiziell waren sie als Handelsvertreter bei Cap City Luxury Vehicles angestellt, doch Raymond Benjamin konnte sie in den unterschiedlichsten Funktionen einsetzen.
»Er wird wieder, keine Sorge«, sagte Benjamin mit einer beschwichtigenden Handbewegung.
»Ach, er wird wieder, was?«, versetzte Raynella Reese, deren sich überschlagende Stimme schlecht zu den warmen Farben passte, die Benjamin für dieses Zimmer gewählt hatte.
»Die Kugel ist glatt durchgegangen«, warf Tommy Broadus ein.
»Halt die Klappe, Dicker«, fuhr ihm Raynella über den Mund. Dann wandte sie sich wieder an ihren Bruder. »Wo ist Edward jetzt? Ich will ihn sehen und mich selbst davon überzeugen, dass es ihm gutgeht.«
»Er ruht sich aus«, sagte Benjamin. »Der Doktor hat ihn versorgt.«
»Du meinst den Hundedoktor«, entgegnete Raynella. »Stimmt’s nicht, Raymond?«
»Doc Newman ist in Ordnung«, versicherte Benjamin.
»Er ist Tierarzt!«, protestierte Raynella.
»Stimmt«, erwiderte Benjamin. »Aber er ist in Ordnung.«
Gegen ein hohes Honorar behandelte Dr. Newman Opfer von Schießereien in der Stadt, die nicht in ein Krankenhaus gehen wollten. Er leitete eine Tierklinik an der Bladensburg Road, nicht weit vom Peace Cross in Maryland. Seine Nähte hinterließen oft Narben, aber er war ein Meister im Spülen. Nur wenige seiner Patienten starben an Infektionen oder Blutverlust, und insgesamt leistete er gute Arbeit.
»Es geht ihm gut«, beteuerte auch Broadus. »Sie haben ihn zum Schlafen ins Hinterzimmer gelegt.«
Sofern er schlafen kann, dachte Broadus im Stillen. Bei all dem Hundegebell und so.
»Wie ist das passiert?«, fragte Raynella. »Und ich will es nicht von dem Michelinmann da hören. Ich frage dich, Raymond.«
»Irgendwer hat Wind von der Transaktion bekommen, die Tommy gerade vorbereitete. Wir denken, es war jemand an dem Umschlagplatz, der von dem Deal erfahren und die Information weitergegeben hat.«
»Du hast wahrscheinlich selbst da rumgeprahlt«, sagte Raynella zu Broadus.
»Ich habe ihm eingebläut, alle sollen wissen, dass er allein hinter dieser Sache steht«, erklärte Benjamin. »Dass er den Deal auch
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