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Der Totenleser

Der Totenleser

Titel: Der Totenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Garrido
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zutage getretenwar. Ci beschloss, die Abwesenheit von Grauer Fuchs zu nutzen, um seine eigenen Untersuchungen abzuschließen. Erst als er damit begann, die Instrumente zurechtzulegen, bemerkte er, dass neben der Tür ein gutgekleideter Mann wartete. Auf Nachfrage erklärte ihm Bo, dass es sich um den Parfümeur handelte, um den er gebeten hatte. Er hieß Huio und war der offizielle Lieferant des Palastes.
    Ci grüßte ihn höflich, doch der Mann nahm es kaum wahr. Sein Blick löste sich keinen Moment von dem Schwert, das der Wachmann am Eingang in den Händen hielt, als fürchtete er, man könnte ihm jederzeit an die Gurgel gehen.
    »Ich kann nur wiederholen, dass ich nichts getan habe!«, beteuerte der Parfümeur. »Das habe ich den Wachen wiederholt erklärt, die mich festgenommen haben.«
    Allmählich dämmerte Ci, dass der Parfümeur keine Ahnung hatte, warum er hergebracht worden war. Er wollte es ihm erklären, doch Bo kam ihm zuvor.
    »Gehorche diesem Mann«, sagte Bo und deutete auf Ci. »Und wenn du deine Zunge behalten willst, erzähle niemandem, was du hier sehen und hören wirst.«
    Der Mann nickte verängstigt.
    »Wir wollen lediglich, dass Ihr Eure Meinung zu einem Parfüm abgebt«, sagte Ci.
    Huio sah ihn ungläubig an. Jeder, der bei Verstand war, wusste, dass die Palastwachen niemanden gefangen nahmen, um Ratschläge zu Düften zu erbitten. Trotzdem schienen Cis Worte ihn zu beruhigen. Als Ci allerdings die Tür öffnete und der Mann die drei verwesenden Leichen erblickte, fiel er in sich zusammen wie ein leerer Reissack.
    Ci brachte ihn mit den Salzen wieder zu sich, die er normalerweise für die Familienangehörigen der Ermordeten benutzte, und erklärte ihm, was er zu tun hatte.
    »Nichts weiter?«, fragte Huio mit heiserer Stimme. Er konnte es immer noch nicht glauben.
    »Ihr sollt nur das Parfüm bestimmen«, versicherte ihm Ci.
    Er führte aus, dass die Würmer glücklicherweise noch nicht die Wundränder befallen hatten, vielleicht abgeschreckt von dem Duft. Er reichte Huio kampfergetränkte Stofffetzen, um sich vor dem Gestank zu schützen, doch der Parfümeur lehnte ab.
    Der Gestank schnürte einem die Kehle zu. Huio begann zu würgen, als er sah, wie sich die Fliegen und Würmer auf den Leichen tummelten, doch tapfer trat er näher.
    »Das ist … grauenvoll«, stieß er mühsam hervor.
    »Bitte, versucht es. Wir brauchen Euch.«
    Bewehrt mit ein paar kleinen Bambusstöcken, machte er sich an dem ersten Toten zu schaffen. Er rieb die Stöcke gegen die Wundränder, steckte sie jeweils in eine Flasche und eilte aus dem Raum. Ci folgte ihm und schloss hinter sich die Tür.
    »Da drinnen kann man unmöglich atmen«, keuchte Huio. »Das ist der schlimmste Gestank, den ich je erlebt habe.«
    »Ich versichere Euch, es gibt schlimmere«, antwortete Ci. »Wann können wir mit den Ergebnissen rechnen?«
    »Das ist schwer zu sagen. Zuerst muss ich die Parfümreste vom Verwesungsgestank trennen. Und wenn mir das gelingt, muss ich den Duft mit Tausenden von Aromen vergleichen, die in der Stadt verkauft werden. Das ist sehr aufwendig«, sagte er. »Jeder Parfümeur stellt seine eigenen Düfte her. Selbst wenn sie aus ähnlichen Substanzen bestehen, werden sie nach geheimen Rezepten zusammengemischt, die das Endresultat vollkommen verändern.«
    »Das klingt nicht sehr hoffnungsvoll.«
    »Nun, mir ist eine Besonderheit aufgefallen. Ein Detail,das mir die Aufgabe vielleicht erleichtern wird. Die Tatsache, dass immer noch ein Hauch des Parfüms wahrnehmbar ist, weist zweifellos auf eine sehr hohe Konzentration des Duftes hin, und auf einen starken Duftfixierer.« Er entkorkte eines der Fläschchen und führte es an seine Nase. »Ich vermute, dass es sich um eine reine Essenz handelt.«
    »Und was bedeutet das?«
    »Dass wir vielleicht Glück haben. Bitte, lasst mich meine Arbeit machen. Vielleicht habe ich in ein paar Tagen eine Antwort.«
    * * *
    Die neuerliche Untersuchung der Leichen lieferte Ci ein wichtiges Detail, das er in seiner ersten Untersuchung außer Acht gelassen hatte. Zusätzlich zu der schrecklichen Verletzung im Brustbereich, die alle Toten gemeinsam hatten, wies der Leichnam des Alten direkt unter dem rechten Schulterblatt eine kreisrunde Wunde vom Durchmesser einer Münze auf. Das Fehlen von Verteidigungsspuren bei allen drei Leichnamen war ein Indiz dafür, dass die Opfer dem Mörder keinen Widerstand geleistet hatten, was wiederum bedeutete, dass sie entweder überrascht worden waren

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