Der Totenschmuck
trat ein und die Tür schloss sich wieder. Sweeneys Herz raste und sie drückte sich noch enger an Toby. Der Eindringling machte ein paar ewig dauernde Minuten lang keinen Mucks, dann querte er das Zimmer, entfernte sich vom Schrank und trat an das Bett - so klang es jedenfalls -, wo er wieder innehielt. Sie versuchte, die Schritte zu deuten. Konnten Blinde nicht allein an den Schritten hören, wer sich ihnen näherte? Das hatte damit zu tun, dass jeder ein anderes Körpergewicht und eine
andere Art zu gehen hatte. Aber diese kamen Sweeney wie jede x-beliebigen Schritte vor - sie konnte erkennen, dass die betreffende Person weder hochhackige Schuhe noch Gummistiefel trug. Doch davon abgesehen sagte ihr das »tap, tap« des Schuhwerks auf dem Teppich nicht viel mehr.
Tobys Atem kam ihr übertrieben laut vor und sie spürte das plötzliche Verlangen, seinen Nacken zu küssen.
Wer immer hereingekommen war, er blieb nicht lange im Zimmer. Kurz darauf hörte sie die Schritte in den Flur und in das andere Schlafzimmer treten. Keine zwanzig Sekunden später waren die Schritte wieder im Wohnzimmer zu hören, die Wohnungstür öffnete sich erneut und fiel ins Schloss.
Toby verlagerte sein Gewicht und Sweeney wisperte: »Bleib hier.« Sie kam aus dem Schrank und huschte ans Fenster. Zuerst war niemand auf der Straße zu sehen, aber dann ging die Haustür auf und ein Mann in einer Tweedjacke trat ins Freie, blickte links und rechts den Bürgersteig hinunter und überquerte die Straße. Er schaute zu den Fenstern der Wohnung hinauf und Sweeney machte einen Schritt zurück, versuchte sich sein unscheinbares Gesicht, den kurz gestutzten Bart und das runde Brillengestell zu merken. Als sie wieder aus dem Fenster spähte, verschwand er die Harvard Street hinunter.
»Wer war das?«, raunte Toby. »Keine Ahnung. Ein Mann. Niemand, den ich kenne. Verdammt. Wenn er wenigstens in ein Auto gestiegen wäre, dann hätte ich mir das Nummernschild merken können.«
»Was glaubst du, hat er hier gewollt?«
»Schien es nicht so, als hätte er nach irgendetwas gesucht?«
»Ja, denkst du, er ist fündig geworden?«
»Ich weiß nicht … er war nicht besonders lange hier drinnen.«
Als sie das Schlafzimmer verließen, beugte Sweeney sich über den letzten Ordner. Auf dem weißen Etikett stand »Persönliches«.
»Was machst du da?«, fragte Toby nervös.
»Warte noch … Protokolle, Korrespondenz, Steuer …« Sie las die Beschriftung der Trennblätter laut vor. »Hier! ›Geschichte der Familie Putnam‹.« Sie nahm die Unterlagen heraus und nahm sicherheitshalber auch die übrigen Dokumente an sich.
»Sweeney! Die merken doch, dass da Sachen fehlen!«
»Ja, aber sie werden denken, dass die Polizei sie hat. Mach dir keine Sorgen, ich bringe sie ja wieder zurück.«
Sie war schon fast aus dem Zimmer, als ihr Blick wieder auf das Foto mit Raj fiel und sie beschloss, auch das mitzunehmen. Dann folgte sie Toby aus dem Apartment und schloss sorgfältig die Tür hinter sich.
»Es tut mir leid«, sagte sie, als sie wieder draußen auf dem Fußweg standen.
Toby rollte nur die Augen.
Auf dem Nachhauseweg war Sweeney die ganze Zeit über hibbelig. »Sag mir, dass ich nicht anhalten und die Beute unter die Lupe nehmen soll.«
»Halt nicht an und nimm die Beute nicht unter die Lupe.«
»Ist ja schon gut.« Schließlich parkte sie in der Russell Street und als sie neben Toby auf ihr Haus zuging, sagte sie: »Lass mich doch mal sehen.«
»Nein«, gab Toby gebieterisch zurück. »Du hältst die Heiligkeit von Forschungsmaterial immer so hoch. Dann kannst du jetzt auch noch so lange warten.« Er presste die Ordner an seine Brust.
In ihrer Wohnung reichte er ihr die Unterlagen, sie setzte sich an den Küchentisch und begann mit der Lektüre. Toby machte eine Kanne Kaffee, und als er fertig war, war sich Sweeney recht sicher, dass Brad in einigen Dingen zu den gleichen Schlüssen gekommen war wie sie. Er hatte einen rudimentären Familienstammbaum erstellt, der ihrem fast genau glich.
Und er hatte seinen Vorfahr Edmund Putnam eingekreist
und die beiden Geburtsdaten darunter geschrieben - den von seinem Grabstein und den von der Brosche.
»Toby, ist dir klar, was das bedeutet? Brad sind dieselben Ungereimtheiten über den Schmuck aufgefallen wie mir.«
»Ich verstehe das nicht. Was findest du denn so skandalös an dem Trauerschmuck? Was hatte Brad zu verbergen?«
»Toby! Sieh doch selbst.« Sie holte ihre Zeichnungen von dem Trauerschmuck
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