Der Totenwächter - Roman (German Edition)
hätte geschehen können.«
»Ja, Mom. Der Eingang zur Grabkammer ist eingestürzt! Wir hörten dich schreien und sind sofort gekommen, um dir zu helfen. Brad hat dich hergetragen.«
Noch immer schimpfte Brad auf den schmalen Araber ein. »Scheiße«, endete er und drehte sich um. »Das hätte übel ausgehen können. Ich verstehe nicht, warum man den Eingang nicht ausreichend abgesperrt hat.«
Er beugte sich zu Linda. »Ist alles in Ordnung, Kollegin?«
»Wie ich hörte, haben Sie sich als ganzer Held gezeigt? Großer Mann rettet weiße Frau und trägt diese auf Händen quer über den sandigen Platz zu einem schattigen Ort.« Sofort schämte sie sich für diesen Anflug von Sarkasmus. Immerhin war Brad zur Stelle gewesen, als es notwendig gewesen war.
Der Fotograf grinste. Sein attraktives Gesicht war dem von Linda ganz nahe. Sie konnte den verbliebenen Hauch seines Rasierwassers riechen. Auf seiner glatten Stirn glitzerten Schweißtropfen. »Nicht mehr als achtundfünfzig Kilo, nicht wahr?«
Bei Linda fiel der Groschen. Er hatte es mit Humor gesehen. Das zeichnete ihn aus. Sie lachte. »Gut so - sonst hätten Sie sich einen Bruch gehoben.«
»Da haben Sie recht, Linda. Die letzten paar Meter ging es mir ganz schön in den Rücken.«
Nun lachten beide.
Brad hielt ihr seine Hände hin. »Können Sie aufstehen?«
Problemlos erhob sich Linda. Sie musterte den Schnauzbärtigen. »Es war meine Schuld.«
»Oh nein, oh nein.« Er gestikulierte mit den Armen. »Wie können wir das nur gut machen? Oh, Sie waren ohnmächtig. Hat Sie ein Stein getroffen?«
Linda schüttelte den Kopf. Sie versuchte ein freundliches Lächeln. Es war kein Stein gewesen, der sie hatte ohnmächtig werden lassen. Es war ein
(Menschenvogel!)
und die Furcht, die sie erfasst hatte, als er, zwei Meter hoch, vor ihr aufgerichtet gestanden hatte. Bisher hatte sie nur davon gehört, dass man vor Schreck ohnmächtig werden konnte, und darüber gelächelt. Das mochte Frauen vor hundert Jahren geschehen sein, damals, als Riechsalz zu einem gewöhnlichen Utensil gehörte, aber heutzutage?
Jetzt sah sie die Sache anders. Sollte sie darüber reden, was sie gesehen, vernommen und gerochen hatte? Man würde sie für verrückt halten. Was sie erlebt hatte, durfte es nicht geben.
»Es muss die Hitze gewesen sein. Und der Schreck. Außerdem habe ich in der letzten Nacht nicht viel geschlafen. Nun geht es mir schon viel besser, shukram. Machen Sie sich keine Gedanken. Mir ist ja nichts passiert. Ich freue mich, in Ihrem Land sein zu dürfen und bin fasziniert über die Altertümer, die ich besichtigen darf. Es ist großartig!«
Schneeweiße Zähne blitzten. »Avram. Das freut mich.« Er drehte sich zu dem Schmalen, der sich zu ihnen gesellt hatte. »Wir wollen der Lady noch einen schönen Urlaub wünschen, nicht wahr?«
»Ja, ja«, nickte der Schmale und sah eingeschüchtert zu Brad.
Sie blickten dem Paar nach. Der Untersetzte bellte Anweisungen und grau gewandete Ägypter machten sich daran, den Eingang zur Grabkammer zu versiegeln. Der Schmale klappte ein Handy auf und sprach mit rasender Geschwindigkeit.
»In wenigen Stunden wird es hier von Sachverständigen wimmeln«, brummte Brad und betrachtete das Geschehen. »Nun - wir sollten erst mal was trinken, nicht wahr?« Er beugte sich eine Winzigkeit zu Grace. »Würdest du uns drei Cola holen?«
»Aber klar«, nickte Grace. Bald war sie hinter einem Sandhügel verschwunden. Das kleine Restaurant lag am Eingang zur Ausgrabungsstätte.
»Sie ist ein wunderbares Mädchen«, schmunzelte Brad und schaute ihr versonnen nach. »Sie könnte meine Tochter sein.« Er brach ab und räusperte sich.
Linda betrachtete ihn von der Seite. Er sprach nicht viel über sein Privatleben. Einiges hatte sie schon mitbekommen. Brad war vor einigen Jahren von seiner Frau verlassen worden. Man munkelte, dies habe etwas mit dem Tod seiner dreijährigen Tochter zu tun. Seitdem lebte er alleine, obwohl - wie Gerüchte besagten - er in Sachen Frauen kein Kind von Traurigkeit war. Irgendwann würde sie ihn danach fragen.
Brad konzentrierte sich auf Linda. »Und was ist tatsächlich passiert?«
»Das habe ich bereits erzählt.«
»Ich bitte Sie, Linda.« Er setzte sich auf die Bank. Linda nahm neben ihm Platz. Hier im Schatten war es angenehm. Eine aufgeregt plappernde Touristengruppe, geführt von einem Mann im Kaftan, trappelte an ihnen vorüber.
»Ich kenne Sie lange genug, Linda. Sie sind nicht die Frau, die
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