Der totgeglaubte Gott
möglicherweise entwickelte sich deshalb im alten Griechenland die politische Philosophie. Wie dem auch sei, die alten Griechen jedenfalls schienen zu glauben, dass politische Macht von Menschen ausgehe und über Menschen ausgeübt werde. Es war Aufgabe des Philosophen und Weisen, über das ewige, unveränderliche göttliche Gesetz nachzusinnen und den Olymp im Auge zu behalten.
Doch in vielen anderen Kulturen entwickelte sich eine politische Offenbarungstheologie, um die Ausübung konkreter politischer Macht zu rechtfertigen. Eine Vielzahl von Göttern wurde ersonnen, um eine Vielzahl politischer Arrangements zu erklären. Doch in dieser Vielfalt ist eine klare Struktur erkennbar, in der sich bald ein Ort abzeichnete, der der politischen Theologie des Christentums vorbehalten blieb.
Sich ein Bild von Gott machen
Die politische Theologie ist im Wesentlichen ein Diskurs über politische Macht, die auf der Offenbarung einer unauflöslichen Verbindung zwischen Gott, Mensch und Welt beruht. Da sich die politische Theorie innerhalb religiöser Traditionen entwickelt, beruht sie auch auf vereinfachenden Bildern von diesem Nexus, in denen die jeweilige Tradition ihn für ihre Gläubigen verständlich macht. Alle Religionen, auch die archaischsten, stehen vor diesem Problem: Sie müssen die Beziehung zwischen Gott, Mensch und Welt »einfachen« Menschen ebenso zugänglich machen wie Menschen mit komplexem Reflexionsvermögen. Für die einfach strukturierten Geister genügen Bilder. Diese Bilder aber geben Anlass zu Fragen, die die klugen Köpfe dann lösen müssen.
Im Zentrum all dieser Bilder steht Gott. Je nachdem, wie wir ihn wahrnehmen, fällt unser Bild vom Menschen und der Welt anders aus. Das Bild selbst kreist um die Existenz Gottes, darum, wo er lebt und wo er in Zeit und Raum gefunden werden kann. Auf der Ebene des Raumes können wir uns bspw. vorstellen, Gott lebe mitten unter uns. Oder wir glauben, dass er irgendwo in unendlicher Ferne von der Welt existiert. Vielleicht aber stellen wir uns Gott ja auch im Himmel vor, wo er auf seine Schöpfung herunterblickt – immer in Hörweite. Was die Zeit angeht, so gibt es Gott entweder gleichzeitig mit uns oder er existierte vor langer, langer Zeit, jetzt aber nicht mehr. Möglicherweise ist er jenseits der Zeit angesiedelt, dann aber muss er irgendeine Beziehung zu unserem zeitlichen Dasein aufbauen können. Diese verschiedenen Bilder lassen einen weiten theologischen Interpretationsspielraum. Jedes kann zur Quelle verschiedenster Konzeptionen theologisch motivierter Machtlegitimation werden. Für unsere Zwecke mag es genügen, drei abstrakte Gottesbilder zu untersuchen, die von den Vertretern der politischen Theologie zur Grundlage der Legitimation gemacht wurden.
So können wir Gott bspw. als der Welt immanente Kraft sehen, sowohl was die zeitliche als auch was die räumliche Dimension angeht. In diesem Bild ist die Welt ein chaotischer Ort, an dem alle Kräfte – ob göttlich, menschlich oder von der Natur ausgehend – durcheinander wirken. Geister, Nymphen, Ahnen, Schamanen, Amulette, ja sogar Sterne oder Träume bestimmen über unser Schicksal, weil die immanenten Götter durch sie wirken. Gute Götter sorgen dafür, dass es regnet, dass das Getreide wächst und das Vieh fruchtbar ist. Sie schützen das Land im Krieg und bewahren es vor den Taten der böswilligen Gottheiten, die Niederlagen, Seuchen, Dürren, Krankheiten und Tod bringen. Die Welt ist durchlässig, und wir teilen sie mit den göttlichen Wesen, die sie und auch uns für ihre Zwecke gebrauchen. Um in dieser Welt glücklich zu sein, muss man die guten Götter bei Laune halten und die böswilligen in Schach – wenn es sein muss mit Schmeichelei und Bestechung.
Auf die Spitze getrieben bedeutet der Glaube an einen immanenten Gott, dass die ganze Natur, und wir mit ihr, aus dem Göttlichen hervorgegangen ist. Dies ist der Gott der Pantheisten 3 . Es ist nicht bekannt, ob es je ein Volk gegeben hat, das streng nach pantheistischen Grundsätzen gelebt hat, als wäre buchstäblich alles »von Gott erfüllt«, denn dies hieße ja auch, dass alle Lebewesen den gleichen Stellenwert haben. Doch in den meisten pantheistisch geprägten Kulturen gibt es Lebewesen, die ein bisschen gleicher sind als andere. So gab es dort seit jeher Helden, Adelsfamilien oder Kasten, die sich scheinbar größerer Nähe zu Gott erfreuten. Diese Tatsache diente ihnen zur Legitimation ihrer Herrschaft. Bei einigen Völkern
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