Der totgeglaubte Gott
geschlossen wurde, und um die göttlichen Gesetze zu verkünden, die diesen Bund regeln. Sowohl Bund als auch Gesetz sind sprachliche Akte, für die es Gründe gibt. Doch hinter dem letzten Grund steht dann doch wieder die Offenbarung. Ob Israel nun von Richtern, Königen oder Priestern beherrscht wird, ob es sich selbst regiert oder verstreut unter den Völkern lebt, so ist die Quelle der politischen Autorität doch immer der Bund und seine Gesetze. Sie sind die Quelle der politischen Theologie der Bibel.
Wir haben hier also drei Bilder von Gott, Mensch und Welt, und drei Erscheinungsformen politischer Theologie. Das erste Bild betrachtet Gott als Teil der Welt, in der er wirkt. Die politisch-theologische Dimension besteht darin, sich die Macht des den Menschen umgebenden Göttlichen nutzbar zu machen, um das Land zu schützen und ihm zu Wohlstand zu verhelfen. Das zweite Bild sieht den höchsten Gott als Wesen, das sich von der von ihm geschaffenen Welt zurückgezogen hat, in der ein ebenfalls gottgeschaffener Demiurg regiert. Diese Gottesvorstellung kann dazu führen, dass die Gläubigen sich weltlicher Dinge, gerade auch der Politik, enthalten. Doch sie kann auch Spekulationen über göttliches Wissen nähren, das die Welt bewusst in die Apokalypse führt, um die Erlösung voranzutreiben. Im dritten Bild tritt uns ein transzendenter Gott entgegen, der zwar über der Welt steht, gleichwohl aber mit ihr verbunden ist. Dieser Gott lässt uns freie Hand, sodass wir über uns selbst herrschen können. Wir sind frei in dem Sinne, dass er unser Tun nicht direkt lenkt. Doch er gibt uns durch seine Offenbarung ein Regelwerk an die Hand, das wir annehmen oder ablehnen können. Die Politik fußt in diesem Weltbild immer noch auf der Beziehung zwischen Mensch und Gott, doch diese Beziehung hat die Qualität der absoluten Herrschaft verloren und ist zu einem Band des freiwilligen Gehorsams und der moralischen Verantwortung geworden.
Das Bild des transzendenten Gottes ist uns im Westen am geläufigsten. Auch wenn wir nicht mehr der politischen Theologie gehorchen, die darin ihren Ursprung hat, so übt es doch immer noch einen erheblichen Einfluss auf unser Denken aus. Aus diesem Grund ist es von Bedeutung, die beiden anderen Bilder zumindest im Hinterkopf zu behalten. Der transzendente Gott der Bibel hält sich mühsam im Gleichgewicht zwischen dem immanenten Gott der Pantheisten und dem abgewandten Gott der Gnostiker. Die Versuchung ist groß, Gott näher an die Welt heranzuziehen oder ihn davon ganz loszulösen. Viele Häretiker der biblischen Glaubenstraditionen erliegen ihr in der ein oder anderen Form. Dies gilt im selben Maß für die Formen der politischen Theologie, die diese Denkschulen hervorgebracht haben. Die politische Theologie der Bibel wird vom Schreckgespenst jener Götter gejagt, die sie hinter sich gelassen hat.
Der menschgewordene Gott
Aus der subjektiven Perspektive betrachtet, wohnt der politischen Theologie eine gewisse Logik inne. Sie ist Frucht einer natürlichen Tendenz des menschlichen Geistes, die Bedingungen seiner Erfahrung zu erforschen, seines Lebens in der Welt und seines politischen Lebens. Wenn sich eine politische Theologie herausbildet, erzählt sie die Geschichte der Legitimierung politischer Macht als Offenbarung einer Verbindung zu Gott. Wer die verschiedenen Formen politischer Theologie genauer unter die Lupe nimmt, wird eine rationale Struktur darin erkennen. Je nachdem, wie man Gott und seine Stellung zur Welt betrachtet, lassen sich daraus verschiedene Argumente in Bezug auf ein »gutes« politisches Leben herleiten.
Die politische Philosophie der Moderne wurde ursprünglich als Mittel ersonnen, dieser Struktur zu entkommen. Sie entzog sich der Logik der politischen Theologie und nannte Gründe für ihre Abkehr. Gründe, die wir im nächsten Kapitel eingehender untersuchen werden. Die frühe Moderne entwickelte darüber hinaus neue Legitimationsstrukturen, die ohne Rückgriff auf eine wie auch immer geartete Offenbarung funktionierten und unterschiedliche politische Ordnungen rechtfertigten. Die Argumente der politischen Philosophie wandten sich gegen die politische Theologie als solche und beanspruchten universelle Gültigkeit. Man argumentierte mit der Natur des menschlichen Geistes, den Regeln der Logik, den Leidenschaften der Seele, der Dynamik menschlicher Interaktion, den Grundrechten und so weiter. Doch die Kritik an der politischen Theologie hatte auch lokale Gründe:
Weitere Kostenlose Bücher