Der totgeglaubte Gott
wurden solche theokratischen Herrscher als Inkarnation des Göttlichen betrachtet, in anderen galten sie als Kinder Gottes oder waren als Priester Stellvertreter des Höchsten. Im alten Ägypten z. B. galt der Pharao als Gott und war für die Ägypter als Mittler zu den anderen Göttern tätig. Im alten Mesopotamien scheint der König als Held gedacht worden zu sein, von dem bei bestimmten Gelegenheiten der Gott Besitz ergriff. Letztlich aber galt er als Sterblicher.
Mit einem immanenten Gottesbild wird das Göttliche eine aktive Kraft in der Zeit, deren Beziehungen zum Volk über den Herrscher laufen, der unter anderem auch die Rolle des Priesters einnimmt. Der Herrscher hat also zweifache Repräsentationsfunktion: Er trägt die Sache seines Volkes Gott vor, wie ein Anwalt vor Gericht dies tun würde. Und er fungiert als Gottes Stellvertreter auf Erden, indem er den Menschen die göttlichen Befehle überbringt. Von solchen Herrschern erwartet man, dass sie das Volk vor seinen Feinden ebenso schützen wie vor Naturkatastrophen. Ihr Schicksal hängt letztlich davon ab, wie gut sie die Macht des immanenten Gottes ins Hier und Jetzt transportieren können. Für die Herrscher in einer pantheistischen Welt ist die Vergöttlichung das Herzstück der Politik.
Aber natürlich finden wir in der Religionsgeschichte auch andere Gottesvorstellungen, z. B. die vom fernen Gott, der der Welt den Rücken zukehrt und sein Antlitz verhüllt. Auf den ersten Blick leuchtet es nicht recht ein, was an diesem deus absconditus für den Menschen interessant sein soll. Wozu braucht man einen Gott, wenn dieser abwesend ist, nicht angerufen werden kann, um den Feind niederzuwerfen und seine Kinder zu trösten? Doch es gibt Zeiten, in denen wir ein solches Bild brauchen, z. B., wenn wir eine Erklärung dafür suchen, weshalb Gott auf unser Flehen nicht reagiert. Denn mit den immanenten Göttern gibt es dort ein Problem, wo sie tatenlos danebenstehen, wenn ihre Gläubigen leiden, während es deren Feinden immer besser geht. Der treue Hiob schreit zu Gott, doch dieser lässt ihn warten. Wie kann dieses Schweigen ertragen oder gar erklärt werden?
Wer wie Hiobs Freunde nicht genug Glauben aufbringt, um wartend zu dulden, sucht nach Erklärungen. Und eine klassische Antwort, die die Religionsgeschichte hier findet, ist, dass Gott der Schöpfung den Rücken zugekehrt und sie in den Händen des Bösen zurückgelassen hat. Das ist sozusagen die Rohfassung dieses Gedankens, die zu einer ausgefeilten theologischen Erklärung gesponnen wird: Nach dieser hat das höchste, das gütigste Wesen seine Schöpfung verlassen und diese wird von einer anderen, bösen Kraft beherrscht. Die immanenten Götter sind ein gemischtes Völkchen, einige gut, andere böse. Mit ihnen die Welt zu teilen bedeutet, dass wir lernen müssen, sie auf unsere Seite zu ziehen. Wenn wir leiden, müssen wir neue Allianzen schmieden. Ein ferner Gott aber kann nicht erreicht werden, zumindest nicht, solange es die Schöpfung gibt. Und das erklärt, warum wir in dieser dem Leid begegnen. Zwischen ihm und dem niederen Gott, der in dieser Welt wirksam ist, liegt ein unüberbrückbarer Abgrund. Und für den Augenblick sind wir in den Händen des Letzteren. Eine so gedachte Welt gehorcht unveränderlichen Gesetzen, was mit immanenten Gottheiten niemals möglich wäre. Auch dies zeigt, dass der niedere Gott Übles im Sinn hat. Er hat aus der Schöpfung ein Gefängnis gemacht, dem niemand entrinnen kann.
Dieses Bild von der Beziehung zum Göttlichen ist letztlich ein gnostisches. Wir kennen ja die gnostischen Schulen, die in der Spätantike hohen Zulauf hatten und in facettenreichen Mythen erzählten, wie es geschah, dass der Kosmos einem niederen Gott, einem Demiurgen, überantwortet wurde, dessen böses Reich eines Tages fallen werde. Diese Schulen entwickelten spirituelle Techniken, die den Gläubigen ermöglichten, die Zeichen des abwesenden Gottes in ihrer Seele zu entdecken und zu kultivieren. Diese Zeichen sollten ihnen in der gefallenen Welt Trost spenden und besondere Einsichten verleihen. Doch der Gnostizismus ist mehr als nur eine historisch überwundene religiöse Denkrichtung. Abstrakt betrachtet hat er theologisch neue Wege eröffnet, die sich aus dem Bild eines fernen Gottes ableiten und uns weiter offenstehen. Der Nachhall gnostischen Denkens lässt sich daher in vielen religiösen und philosophischen Schulen nachweisen.
Darüber hinaus hat der Gnostizismus auch politisch
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