Der totgeglaubte Gott
neue Möglichkeiten geschaffen, auch wenn dies nicht auf den ersten Blick sichtbar ist. Das mangelnde Interesse der Gnostiker an der weltlichen Schöpfung impliziert ja schließlich ein ebenso mangelndes Interesse an politischen Dingen. Und tatsächlich ist eine der tiefsten Triebkräfte gnostischen Denkens die Weltabgewandtheit. Und doch birgt diese asketische Haltung paradoxerweise einige revolutionäre Aspekte. Das Weltbild der Gnostiker malt die Gegenwart in düsteren Farben zugunsten einer strahlenden Zukunft, in der alles Schlechte zerstört ist und die Herrschaft des Guten beginnt. Dies ist ein eschatologisches Bild, das politisch gleichermaßen eschatologische Wirklichkeitsentwürfe bedingt. Wer nämlich den göttlichen Funken bewahrt hat, hat das göttliche Wissen gehütet. Es würde also kaum überraschen, wenn die Wissenshüter nach Möglichkeiten suchen, dieses nutzbar zu machen – entweder um eine sofortige Erlösung herbeizuführen oder die Apokalypse, die eine notwendige Vorbedingung der neuen Welt ist. Die Schwarzweißmalerei der Gnostiker sollte vor allem einen Umschwung in den Seelen ihrer Anhänger bewirken. Doch jeder Umsturz in der Seele kann sich zur Revolution in der Welt auswachsen.
Eine dritte theologische Gotteskonzeption zeigt uns einen Gott, der weder der Welt den Rücken zukehrt noch in ihr lebt. Wir haben es hier mit dem transzendenten Gott des Deismus zu tun. Dieser ist auch der Gott des Alten Testaments, in dem wir die vielleicht ausgereifteste Darstellung eines solchen Wesens finden. In diesem Weltbild ist nur Gott Gott. Er wohnt alleine im Himmel und beugt sich über seine Schöpfung, hoch oben, aber immerhin in Reichweite – von seiner Seite aus ebenso wie von der unseren. Er zeigt sein Antlitz nicht, hinterlässt aber gleichwohl Zeichen seiner selbst – in der Natur, in den Schriften, in unserem Geist, in Prophezeiungen – und zeigt so, dass er uns nicht fremd ist. Selbst wenn er seinen Willen durch Sintfluten und Seuchen ausdrückt, ergeht zur Erklärung Gottes Wort. Dieser Gott gibt Gründe für sein Tun an, auch wenn er erzürnt, verletzt oder eifersüchtig ist. Er ist kein willkürlicher Gott, der stumm Blitze schleudert oder in Rätseln spricht.
Und er ist ein schöpferischer Gott, der den Kosmos groß und für den Menschen einsehbar macht, den er ebenfalls geschaffen hat. Der Himmel bezeugt zwar seine Glorie, doch ist ihm nichts von seiner Macht eigen. Die Welt ist sein entzaubertes Werkzeug, ein Instrument, dessen er sich gelegentlich bedient, das jedoch keine Verlängerung seiner selbst ist. Was den Menschen angeht, so ist dieser nach seinem Bild geschaffen und hat den göttlichen Lebensodem eingehaucht bekommen. Er ist zwar kein Gott und kann auch kein solcher werden, doch er ist auch kein Tier oder Sklave. Diese Beziehung auf mittlere Distanz ist die schwierigste Lektion für den Menschen. Von Zeit zu Zeit überfällt ihn die Versuchung, Gott herauszufordern, wenn er nach verborgenem Wissen strebt oder müßige Taten ins Werk setzt wie Türme zu bauen, die in den Himmel ragen oder Städte in der Ebene. Von Zeit zu Zeit muss er in die Knie gezwungen, sein Hochmut gebrochen werden. Erst dann darf er wissen, dass er nur wenig geringer gemacht wurde als Gott selbst und von ihm mit Herrlichkeit und Schmuck gekrönt wurde 4 . Er ist eine sündige Kreatur, doch keine verlorene Seele. Er ist der Reue fähig, und da sein Gott ein gnädiger Gott ist, wird er am Ende der Zeiten erlöst werden.
Die Beziehung des Menschen zur Natur ist sehr viel komplexer, wenn sein Gott ein transzendenter ist. In den Psalmen heißt es: »Der Himmel ist der Himmel des Herrn, die Erde aber gab er den Menschen.« 5 Der Mensch lebt in der Natur, steht aber gleichzeitig über ihr. Er ist zwar der kosmischen Ordnung unterworfen, gehorchen aber muss er nur seinem Schöpfer. Warum es in einer Welt, die von einem wesensmäßig gütigen Gott geschaffen wurde, das Böse gibt, ist ein Problem, das nicht einmal die ausgefeilteste Theodizee bislang lösen konnte. Doch vom Buch Hiob einmal abgesehen, gibt es im Alten Testament keine Erklärung der Lebenstatsache Leid. Der Mensch wird aufgerufen, treu zu sein und auf Gott zu vertrauen. Einblick in Gottes Papiere aber wird ihm nicht gewährt. Ähnlich fällt der politische Ansatz aus. Wo die Bibel sich der Politik zuwendet, tut sie es nicht, um den Menschen als politisches Wesen zu erklären, sondern um den Bund zu beschreiben, der zwischen Gott und Israel
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