Der träumende Diamant 1 - Feuermagie
Versprechen als hinfällig. Ich werde dich finden, wo auch immer du steckst, und kein noch so inständiges Bitten wird dich dann noch retten.« Er richtete sich wieder auf und ließ seinen furchterregenden Blick über Zane schweifen. »Verschwinde durch den Dienstbotenausgang, Junge.«
Und er legte seine Hand auf Rues Rücken und schob sie vor sich die Treppe hinauf, und sie zog den gelben Damaststoff wie eine lange, fließende Schleppe hinter sich her.
15
»Ich glaube, es ist an der Zeit, dass du mir vom Läufer erzählst«, sagte Christoff.
Er zog sich an und ging dabei mit bedächtiger Sorgfalt vor. Breitbeinig stand er vor seinem Bett, auf dem seine Londoner Kleidung in wildem Durcheinander auf der Decke lag. Herte war eine lautlose Sternenexplosion inmitten des Chaos. Er zog aus dem Wandschrank, was er brauchte, ohne einen Blick darauf zu verschwenden, was vorhanden war. Festes Leinen, gegerbte Kniebundhose, eine Weste aus indischer Seide mit matt geschliffenen Silberknöpfen. Auf der Seide fing sich das Licht, sodass die Farbe von Salbeigrün bis Gelb changierte. Aus irgendeinem Grund schmeichelten die wechselnden Töne seinen Augen.
Rue saß auf einem Stuhl hinter ihm. Er konnte ihren Blick auf seinem Rücken spüren.
»Was möchtest du wissen?«
»Was wohl? Ich will wissen, was er letzte Nacht zu dir gesagt hat und was du ihm erzählt hast.«
Er griff nach seinem Hemd. Die Rüschen an den Ärmelaufschlägen fühlten sich gestärkt und sehr kühl an.
»Nicht Nützliches.« Ihre Stimme war gedämpft. »Er fragte mich, warum ich ihm gefolgt sei.«
»Und was war der Grund?«
»Weil er davonlaufen wollte, deshalb. Und weil du mit deinem Cynthia-Schatz beschäftigt warst. Jemand musste einschreiten.«
Er zog das Hemd über den Kopf. »In der Tat. Und da hast du dir gedacht, du stellst ihn einfach ganz allein. Sehr schlau.«
Sie ahmte seinen beißenden Tonfall nicht nach, sondern wiederholte nur starrsinnig: »Jemand musste es tun.«
Er stützte eine Hand gegen den Bettpfosten. In seinen Ohren lag ein seltsames, weit entferntes Surren. Das war so, seitdem er diesen Jungen gesehen hatte, seitdem ihn dieser vertraute Rausch aus Wildheit, Mitleid und blutrünstiger Gewalt erfasst hatte; dieselbe übelkeiterregende Welle, die er immer in jenen letzten Momenten eines Lebens verspürt hatte. Es war ein so grausames Gefühl, dass es ihn auch körperlich krank gemacht hatte. Die ersten beiden Male, als er getötet hatte, hatten ihn diese Empfindungen überwältigt: Im gleichen Augenblick, in dem man ihn hinterher allein gelassen hatte, war er zu Boden gesunken und hatte sich übergeben.
Kit erinnerte sich an ihre Namen, ihre Gesichter. Samuel Sewell, John Howards, Colm Young. Er erinnerte sich an ihre Angst. Er erinnerte sich an seine eigene Angst, dass er schwach sein oder versagen könnte, dass er seine Hände nicht würde heben können, um die Aufgabe zu Ende zu bringen, die ihm sein Vater auferlegt hatte.
Sam Sewell. Er war Zimmermann gewesen, stämmig und mit wahnsinnigen Augen. Und Christoff selbst war erst sechzehn Jahre alt gewesen.
Sewell war verurteilt und gefesselt worden. Er hatte sein Wort gegeben, nicht die Wandlung zu vollziehen, es aber trotzdem gewagt.
Das zweite Mal war geringfügig leichter gewesen. Der Mann hatte nur geweint. Das dritte Mal war es noch einfacher geworden. Anstatt sich zu erbrechen, hatte sich Kit nach diesem Mal betrunken, bis zur Besinnungslosigkeit betrunken. Und das beinahe vierte Mal, dieses bleiche, dünne Kind …
Er hätte es getan. Er verstand nun, warum seine Rolle das von ihm verlangte, denn ein Alpha musste für jede Freude Opfer bringen, und jede Handlung hatte Konsequenzen. Er wusste genau, wie es geschehen wäre, wie er sich bewegt hätte, rasch und gnadenlos, wie er zugeschlagen und die wichtigste Verbindungsstelle der Halsknochen durchtrennt hätte …
Tief in seiner Kehle stieg leichte Übelkeit auf. Das Summen in seinen Ohren wollte nicht nachlassen.
Aber es war es wert gewesen, alles, denn ihrem eigenen Schwur entsprechend gehörte Rue jetzt ihm. Kit warf ihr über die Schulter hinweg einen Blick zu. Sie hatte sich in dem Ohrensessel auf der Seite zusammengerollt, den Kopf auf die Arme gelegt. Die Haare fielen ihr über die Wange, und sie war noch immer in den Vorhang aus dem Flur gehüllt. Sie war weiß und dunkel und rosarot und golden, und sie beobachtete ihn durch lange, schwarze Wimpern.
»Was hat er sonst noch gesagt?«
»Dass ich ihn in
Weitere Kostenlose Bücher