Der träumende Diamant 1 - Feuermagie
wie ihr Selbstbewusstsein wiederkam. Sie hatte schon in schlimmeren Lagen als dieser gesteckt, und sie hatte immer einen Ausweg gefunden. Sie war vorsichtig und geschickt gewesen, und nach unglaublichen neun Jahren war sie noch immer frei, trotz all der Regeln und Drohungen der Grafschaft.
Sie war frei. Und sie hatte mehr als alles andere vor, dafür zu sorgen, dass das auch so blieb.
Überhaupt war Kit Langford vermutlich inzwischen sowieso verheiratet. Die Zeitungen wussten nicht alles und ganz sicherlich dann nicht, wenn es um Darkfrith ging.
Selbst für Sidonie war es zu früh zum Aufstehen. Rue liebte es, lange im Bett zu bleiben, und so handhabten es auch ihre Angestellten. Es war nicht ungewöhnlich, dass sie die ganze Nacht fortblieb. Sie hatten bis Mitternacht mit dem Abendessen auf sie gewartet und es dann weggepackt, um es fürs morgige Mittagessen verwenden zu können. Solange die Sonne nicht über den Horizont blinzelte, schliefen sie sicherlich alle noch.
Rue betrat ihr Haus, nachdem sie einen kurzen letzten Blick über die Schulter geworfen hatte, doch die Jassamine Lane lag völlig still im Nebel. Selbst der Nachtwächter war nicht auf seinen Runden zu sehen, und nur ein paar Tauben mit schwarzen Köpfen beobachteten sie gelangweilt von ihrem Ausguck auf einem Straßenschild.
Der Flur war dunkel, genau, wie es sein sollte.
Ihre Post lag auf dem Silbertablett neben der Tür; ein Haufen Karten und Briefe, all die Erkennungszeichen eines ganz gewöhnlichen Lebens. Sie ging daran vorbei, ohne mehr als einen flüchtigen Blick darauf zu werfen; sie würde sich später darum kümmern. Morgen. Nachdem sie geschlafen hatte.
Von oben kam ein kaum hörbares Geräusch. Sie blieb sofort stehen, ihr Herz hämmerte … Aber es war nur Zane, der sich in seinen Träumen wand und Worte, die sie nicht verstehen konnte, in sein Kopfkissen murmelte.
Er wusste nicht, dass er im Schlaf redete. Vielleicht würde sie es ihm eines Tages verraten.
Als Erstes zog sie die Schuhe aus - die sehr feucht waren - und riss dann die herabhängende Haube vom Kopf. Sie ließ das Schuhwerk an der Treppe stehen, damit die Magd es sich holen konnte, und knüllte die Haube in ihrer Hand zusammen, während sie die Holztreppe hinauf ins Herrinnenzimmer stieg.
Dort brannte eine Lampe für sie neben der Schüssel auf dem Nachttisch, und die blaue Flamme wirkte gedämpft im zunehmenden Licht der Dämmerung.
Sie ließ die Haube auf den Stuhl neben dem Schrank fallen, zog die Nadeln aus ihrer Frisur und fuhr sich mit einem Seufzen durch die Haare. Sie war erschöpft. Was für eine entsetzliche Nacht.
Das Wasser in der Schüssel ließ sie frösteln. Sie ließ sich
auf die Bettkante sinken und fuhr sich mit dem Waschlappen über das Gesicht, holte tief Luft und ließ sich dann zurückfallen, das Tuch über den Augen, während kühle Rinnsale ihren Hals hinab auf das Deckbett tropften. Es fühlte sich wunderbar an.
Sie würde das Haus nicht verlassen; sie würden sie hier niemals finden. Sie würde tagelang schlafen … wochenlang …
Doch sie wollte nicht so einschlafen, wie sie war. Mit einem weiteren Seufzer richtete sich Rue wieder auf. Das Dienstmädchenkleid war bewusst schlicht gehalten, mit einfacher Schnürung und wenigen Haken. Sie brauchte keine Hilfe, um das Mieder zu öffnen, dann den Reifrock und den Überrock abzustreifen und alles abzuschütteln und auf den Teppichvorleger sinken zu lassen. Dort lag das Kleid nun, in einem trüben Braun und schmutzigen Weiß und im Innern der Falten schon fadenscheinig. Entschlossen trat sie aus dem Kleid heraus und beförderte es mit einem Tritt in die Ecke.
Sie würde es Sidonie geben - oder nein, besser der Wohlfahrt, denn sie wollte es nie wieder sehen.
In ihrem Korsett und Unterhemd ging sie zur Kommode und öffnete die oberste Schublade, um ihr Nachthemd herauszuholen …
… und hielt stattdessen das Kleid in den Händen, das sie gestern im Museum zurückgelassen hatte: meergrüne Seide und ausgesuchte Spitze.
Rue starrte auf die Farben hinunter, die sich über ihre Hände ergossen, und ihr Geist war plötzlich entsetzlich leer.
»Ich bitte um Vergebung«, sagte eine leise Stimme hinter ihr. »Vielleicht hätte ich mich früher bemerkbar machen sollen.«
5
Clarissa Hawthorne wirbelte zum hinter ihr gelegenen Fenster herum - ein Fenster, von dem Christoff wusste, dass es verschlossen war - und zog aus den Falten des Vorhangs ein Rapier mit einer gefährlich aussehenden
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