Der träumende Diamant 1 - Feuermagie
verzweifelter, hatte ihn beinahe eingeholt … Und mit einem Mal schnellte er zu ihr herum, so plötzlich, dass sie sich nicht rechtzeitig zurückziehen konnte. Noch während sie versuchte, ihm auszuweichen, machte er einen Satz, legte die Flügel an und packte sie an der Kehle. Zusammen gerieten sie ins Taumeln und fielen wie Steine hinab zur Erde.
Sie bog sich, doch es nützte nichts. Sein Griff war fest und hart, und er ließ nicht locker. Rue sah Wolken und den Himmel
und selbst das schwächste Blinken der Sterne. Sie breitete die Flügel aus und versuchte, sich mit ihrer Hilfe auf die Seite zu drehen, doch Christoff tat es ihr gleich und umschlang sie, sodass ihre Schwingen von seinem Gewicht an ihren Rücken gepresst wurden.
Der Wind zerrte an ihr. Die Wolken sausten erschreckend schnell an ihr vorbei. Sie versuchte, die Wandlung zu vollziehen, doch es gelang ihr nicht. Sie waren zu hoch, rasten zu rasch hinunter, und sein Atem war sengende Hitze an ihrem Nacken, sein Körper eine unnachgiebige Schlinge um ihren eigenen herum. Er versuchte, sie beide umzubringen... Wenn sie die Wandlung nicht vollziehen und auch nicht fliegen konnte, würden sie wie Kometen ihrem Tod entgegenstürzen …
Sir George stand reglos da, hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt und musterte die gleichmäßigen Steinfliesen auf dem Fußboden, während die Männer um ihn herum auf und ab liefen und ihre Schritte im hohen, leeren Zimmer widerhallten. Das Lagerhaus war staubig und unangenehm höhlenartig für seinen Geschmack. In der Luft lag der unverwechselbare Geruch von Schafswolle, vermischt mit den Rückständen von Nagetieren und Flussschlamm.
Sie waren spät dran, der Marquis und seine Gefangene. Der Tag war bereits angebrochen, und bislang waren die einzigen Menschen, die auf den Straßen rings um das Gebäude herum unterwegs waren, Fährmänner und Händler. George spitzte die Lippen und scharrte mit dem Absatz seines Stiefels träge über den Boden. Vielleicht hatte Christoff versagt. Es schien kaum möglich, das zu vollenden, was er zu tun gelobt hatte, nämlich ihre Spur durch die Stadt zu verfolgen, nur getrieben von der Erinnerung an ihren Duft, und sie ohne Hilfe zu fangen … Selbst ihm konnte das wohl kaum gelingen …
Sir George hatte die gleiche Empfindung wie alle anderen, die mit ihm hier die Stellung hielten. Über ihnen - über ihnen - war untrüglich ein Kampf zwischen Drákon zu spüren. Jeder blickte entsetzt zur Decke empor.
»Gütiger Himmel«, sagte George. »Da kommen sie.«
Sie erreichten die Wolken, die wie ein plötzliches, gräuliches Klatschen auf Rues Haut zu spüren waren, und dann hatten sie selbst diese passiert und rasten hinab auf die Londoner Stadtlandschaft zu, nur noch Augenblicke entfernt von ihrem Ende auf dem Erdboden.
Die Themse, die aussah wie eine silbrig gläserne Schlange. Schiffe. Die Docks. Mächtige Gebäude, die in Windeseile auf sie zukamen …
Kit öffnete die Flügel, woraufhin ihr Fall gebremst und sie gleichsam nach oben gerissen wurden, doch noch ehe Clarissa reagieren konnte, krachten sie durch ein riesiges Dach. Es tat weh, ihr Rücken und ihr Körper schrien vor Schmerz, hölzerne Dachschindeln flogen umher, dann landeten sie mit einem harten Aufprall auf dem Boden, wo sie, noch immer aneinandergekrallt, herumrollten und gegen eine Wand polterten, die zwar bebte, aber nicht einstürzte.
Rue lag da wie betäubt, außerstande, sich zu bewegen; vor ihren Augen tanzten blaue und purpurrote Sterne. Sie spürte kaum, wie sich Christoff regte. Sie spürte es kaum, als er sie erneut an der Kehle packte, etwas sanfter diesmal, und sie über den kahlen Boden schleifte, an einer Tür vorbei, an einen Ort, der kleiner und weniger hell war als der vorherige. Vorsichtig ließ er sie wieder zu Boden sinken.
Sie schluckte und blinzelte dann, um klarer sehen zu können, und dann hatte Christoff auch schon wieder seine menschliche Gestalt angenommen, war wunderschön in
seiner Nacktheit und kauerte neben ihr, seine Finger in der schimmernden, seidenen Mähne vergraben, die sich über ihren Hals ergoss.
»Clarissa«, sagte er.
Sie schüttelte den Kopf und sprang auf. Er trat nur einen einzigen Schritt zurück und sah sie mit unergründlichem Ausdruck auf seinem Gesicht an.
Sie vollzog die Wandlung und wurde zu Rauch. Doch die Tür, durch die er sie gezerrt hatte, war nun verschlossen, ohne jeden Spalt oder eine Klinke, ohne die geringste Öffnung, durch die sie
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