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Der träumende Diamant 2 - Erdmagie

Titel: Der träumende Diamant 2 - Erdmagie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shana Abé
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sie davongingen, bewegten sich die Vorhänge hinter einem Fenster; eine dunkle Gestalt presste sich gegen den Stoff und sah ihnen hinterher. Zane wollte Amalia gerade die Hand reichen, um ihr in die Kutsche zu helfen, als eine weitere Bewegung seine Aufmerksamkeit erregte.
    Es war ein Kind. Ein Junge von etwa sieben Jahren, der sich hinter dem Hinterrad der Kutsche verborgen hatte. Noch einmal bewegte sich der Knabe, die Finger um die Speichen geschlossen, und starrte sie mit seinem spitzen, neugierigen Gesicht an.
    Amalia erstarrte mit dem Fuß auf der Stufe, dann drehte sie sich um, und ihre Blicke kreuzten sich.

    » Buna seara «, sagte sie oder etwas, das so ähnlich klang. » Numele meu este Lia .«
    » Jakab «, entgegnete das Kind und schob sich hinter dem Rad hervor. Er war in einen Stoff gehüllt, den man bestenfalls als Fetzen bezeichnen konnte, und er war schmutzig und barfuß trotz der Kälte. Blitzschnell ratterte er eine weitere Antwort herunter, und Lia lächelte und winkte ihn mit gebogenem Finger näher.
    Das Kind gehorchte. Es war dünn und blass und ähnelte dem Jungen, der Zane einst gewesen war, aufs Haar, hungrig und hochmütig und unter seiner nach außen getragenen Heiterkeit voller Verzweiflung. Zane musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen.
    »Er sagt, wir sollen es bei seinen Eltern versuchen«, sagte Lia, ohne den Blick vom Jungen abzuwenden. »Sie würden sich freuen, uns zu sehen.«
    »Zweifellos. Wir sind zwei fette Tauben, nicht wahr? Fremde mit Geld.«
    »Nein, ich glaube, das ist es nicht.«
    »Nicht?« Schnaubend sah er das Bauernkind an, das sie nun seinerseits unverwandt aus stechend grünen Augen anstarrte.
    »Wie naiv du bist.«
    »Zane«, begann Lia. »Ich denke … ich denke, er könnte zum Teil … du weißt schon, wie ich sein.«
    Er wandte ihr das Gesicht zu.
    »Es ist nur ein Gefühl«, sagte sie. »Nicht sehr stark, aber es ist da. Sieh dir seine Züge an.«
    »Das habe ich schon. Sie erinnern mich an eine ertrunkene Ratte.«
    Sie seufzte. »Nein. Sieh noch einmal hin.«

    »Was soll ich denn entdecken?«, fragte er, während das Licht um sie herum immer mehr schwand.
    »Er sieht aus wie ich«, sagte sie schlicht. »Erinnerst du dich nicht? So sah ich aus, als ich in seinem Alter war.«
    »Du bist nicht wie er«, unterbrach er sie sofort.
    »Tu nicht so. Nicht mir zuliebe.« Sie warf ihm einen schiefen Blick zu. Ihr Haar schimmerte im letzten Tageslicht heller als der Himmel. »Ich erinnere mich auch an die Vergangenheit.«
    »Löwenmäulchen...«
    »Es ist ein Risiko, ich weiß. Aber ich würde es lieber eingehen, als heute Nacht im Dunkeln weiterzufahren. Und du?«
     
    Der Junge lebte in einer Hütte. Ein andere Wort dafür gab es nicht; das Dach bestand aus Stroh, und die Wände waren aus Holzplanken gefertigt. Auf dem schlecht gefegten Boden lagen Schilfmatten. Zwar gab es keine Nutztiere im Innern, aber Zane hätte es sehr gewundert, wenn die Schweine schon länger als einen Monat fort waren.
    Hier wurde ihnen die Tür nicht vor der Nase zugeschlagen, sondern weit geöffnet. Die Menschen im Innern zogen sie mit nervös nestelnden Fingern hinein. Die Hütte beherbergte einen Mann, seine Frau und noch drei weitere Kinder neben dem Jungen, der um sie herumwuselte und am lockeren Hemd seines Vaters zupfte.
    Lia und die Erwachsenen tauschten höfliche Worte aus, das Paar verbeugte sich und nickte, und Amalia lächelte die beiden im Gegenzug an, während sie ihre eigenen Worte anmutig mit entsprechenden Gesten unterstrich.
    Der Raum roch nach Knoblauch und Zwiebeln. Ein Feuer
fauchte und spuckte in einer alten Feuerstelle am Ende des Zimmers; es war die einzige Lichtquelle, doch sie reichte aus, um die Umrisse eines Waschzubers, eines geschnitzten Holztisches und von Stühlen erkennbar zu machen. Das schmiedeeiserne Kreuz hing an einem Stützbalken an der Wand.
    »Sieh nur«, murmelte Lia auf Englisch, in der gleichen freundlichen Stimme, mit der sie auch zu den Bauern gesprochen hatte. »Es ist die Mutter. Kannst du es erkennen?«
    Er vermochte es nicht. Die Frau sah in seinen Augen vollkommen nichtssagend aus mit ihrem borstigen Haar, das zum Großteil unter einem Kopftuch versteckt war, ihren blauen Augen und den tiefen Falten um den Mund. Sie war weder plump noch dünn, weder sonnengebräunt noch blass. Ihr Kleid zeigte ein farbenprächtiges Muster aus aufgestickten Blumen und Blättern und war aus Filz; es war ein fröhliches Muster, wie es die Hälfte aller

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