Der träumende Diamant 2 - Erdmagie
dann würde ich mir im nächsten Dorf eine neue Transportmöglichkeit suchen und den Kutscher umdrehen lassen, um dich nach Hause zu bringen.«
Die Kutsche geriet in ein Schlagloch, und Lia musste nach dem Halteriemen über ihrem Kopf greifen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. »Aber das wirst du nicht tun«, sagte sie, während das Licht klar und blau über ihr Gesicht huschte.
Er drehte sich zum Fenster und lächelte bitter gegen das Glas.
»Nein«, murmelte er. »Das werde ich nicht.«
Auf den Ausläufern der Hügel in der Nähe gab es keine richtigen Städte. Lia hätte das, was sie vorfanden, nicht einmal ein Dorf genannt: eine Ansammlung von strohgedeckten Häusern, zwei Tavernen, eine Kirche, eine Schmiede und ein Geschäft für Grundnahrungsmittel, alles von einer verwitterten Steinmauer umgeben, die sich in die Hügellandschaft einfügte. Sie wurden zu einem der größeren der Gebäude der Siedlung geschickt, das dem Dorfältesten gehörte. Oder vielleicht war er auch der Bürgermeister. Lia verstand die Sprache der Einheimischen doch nicht so gut, wie sie gehofft hatte.
Sie hatte jahrelang Zeit gehabt, ihre Zukunft zu betrachten. Jahre, um die Sprache zu erlernen und die Kultur dieses Ortes zu erforschen. Doch es hatte sich herausgestellt, dass es gar nicht so einfach war, Lehrer für das zu finden, was sie zu brauchen meinte, nicht einmal in einer so bildungsfreundlichen Stadt wie Edinburgh. Sie hatte die Schulleiterin
von Wallace davon überzeugt, für drei Semester einen böhmischen Sprachwissenschaftler anzustellen. Lia war seine beste Schülerin gewesen.
»Er sagt, wir können die Nacht hier verbringen«, übersetzte sie für Zane, der freundlich neben ihr stand, seine Hand wie ein Ehemann in ihrem Kreuz. »Er sagt, wir seien höchst willkommen.«
Aber interessanterweise schien der weißbärtige Mann trotz all seiner blumigen Komplimente nicht sonderlich erfreut darüber, sie in sein Haus zu lassen. Er hatte sich in die Nähe des offenen Kamins zurückgezogen und sich vor einer Frau aufgebaut, die, so vermutete Lia, seine Gattin sein dürfte. Auf diese Weise schirmte er sie beinahe völlig vor ihren Augen ab. Er nickte ihnen zu, sagte etwas und hob eine Hand, um immer wieder das Zeichen des Kreuzes zu schlagen, während er sich in ihre Richtung verbeugte.
Er hatte Lia nur einen kurzen Blick zugeworfen, als er die Tür geöffnet und sie auf seiner Vordertreppe vorgefunden hatte. Danach hielt er den Blick auf den Dielenboden oder beklommen auf Zane gerichtet.
Lia wagte ihr herzerwärmendstes Lächeln. »Ich danke Ihnen so sehr. Ihre Großzügigkeit wird nie vergessen werden.«
Daraufhin sah der Mann sie an - ein rasches, unbehagliches Heben seiner Augen, ehe er wieder den Kopf senkte.
»Hier entlang«, sagte der Mann und führte sie in ein Schlafzimmer. Das einzige Schlafzimmer, wie Lia dämmerte, als sie einen Blick auf das schlichte Eisenbett, die Truhen aus Pinienholz und das schmucklose Porzellanbecken warf, in dem das Wasser am Rande gefroren war.
»Aber Sir, das geht doch nicht«, protestierte sie.
»Nein, nein. Sie können hier übernachten. Bitte, meine Liebe«, - sie war der Meinung, das wäre der Ausdruck, den er benutzt hatte, obwohl es auch Edle Dame hätte gewesen sein können - »erweisen Sie uns die Ehre. Nehmen Sie unsere bescheidene Hilfe an.«
Er schien wahrhaftig entsetzt über ihren Widerspruch, seine Haut erblasste, während seine Gattin hinter ihm ein leises, unzufriedenes Geräusch von sich gab. Lia ließ den Blick auf beiden ruhen und sah dann Zane an, der sie belustigt anlächelte.
»Wie außerordentlich erfreulich«, sagte ihr falscher Ehemann, nachdem er für den Bruchteil einer Sekunde auf den kalten, kahlen Boden gestarrt hatte.
Und so lief es tagelang. Jedes Dorf sah genauso aus wie das vorherige, mit sauberen, weiß getünchten Häusern und Kirchen mit Zwiebelkuppeln, an Seen oder gefrorene Bäche geschmiegt. Die Bäume erweckten den Anschein, als wollten sie die Berge erklimmen, um ihre Kronen von dort in den Himmel zu recken. Irgendwann hatten sie Ungarn hinter sich gelassen und das reiche Waldgebiet Transsilvaniens erreicht, doch in Lias Augen blieb die Landschaft immer gleich. Noch immer weideten Schafe auf den Feldern und ballten sich Wolken am blauen Himmel. Nur der Schnee veränderte sich und verschwand rascher an diesen unablässig strahlenden Sonnentagen, sodass die Gegend voller Farbtupfer erschien, von goldenen über grüne zu
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