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Der träumende Diamant 2 - Erdmagie

Titel: Der träumende Diamant 2 - Erdmagie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shana Abé
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was ging ihr im Kopf herum, diesem schönen, einsamen Mädchen? Wie bei der stillen Helena von Troja haben wir keinerlei Aufzeichnungen über ihre Gedanken. Wir kennen nur ihre Taten, wir wissen nur, welche Berge die Männer für sie zu versetzen suchten. Das Rätsel ihrer Seele bleibt ungelöst.
    Wir wissen, dass sie den Bauern heiratete und entehrte Kinder von ihm empfing. Wir wissen, dass sie viele Jahre an seiner Seite blieb und ihre Familie versorgte, gebunden durch den Stein.
    Sie war der Preis gewesen, den ihr Volk zu zahlen gehabt hatte, geschätzt und umsorgt, vorbestimmt für eine königliche
Zukunft. Er war nichts als ein Kind der Erde, der nicht einmal des Blickes in ihre Augen würdig war.
    In jener Nacht, in der sie ihm eine Klinge durch sein Herz stieß, was dachte sie da? Als sie ihrem Ehemann den Diamanten vom Körper nahm und in den Bergen verschwand, hat sie da ihr Schicksal verflucht? Sorgte sie sich um ihre Kinder, allein zurückgelassen und der Gnade der Menschen ausgeliefert? War es schwer, den Schritt in den Abgrund zu machen, dort, in jenem verlassenen Schacht einer Kupfermine? Zögerte sie, sich ihr eigenes Leben zu nehmen?
    Vielleicht war sie erleichtert, dass ihr Albtraum ein Ende fand. Vielleicht konzentrierte sie sich einzig darauf, den Zauber zu brechen, der sie unterworfen hatte.
    Ich weiß es nicht. Ich glaube, sie war eine Närrin, dass sie so lange gewartet hat, ehe sie ihn tötete. Ich hätte es in jener ersten Nacht getan, im gleichen Augenblick, in dem er es wagte, meine Haut zu berühren. Ich hätte ihm den Diamanten entwendet und ihn verschluckt, um dem Bauern dann die wahre, erhabene Schönheit meines goldenen Selbst zu zeigen.
    Aber ich bin nicht sie.

13
    Irgendwann im Dunkel ihrer zwölften Nacht in den Bergen verließ sie ihr Zigeuner.
     
    Sie hätte seine wachsende Unzufriedenheit spüren müssen, aber er war ein Mensch und hatte sich ohnehin nur selten
die Mühe gemacht, ihr in die Augen zu sehen. Bis zu dieser Nacht, in der sie gezwungen gewesen waren, unter dem Sternenhimmel zu schlafen, hatte sich der Zigeuner stets gleich verhalten, nämlich ungehobelt.
    Lia hatte ein gewisses Maß an Mitgefühl verspürt. Der ständige Wind und die Kälte nagten auch an ihr. Sie sehnte sich nach dem grünen England und einem weichen, sicheren Bett. Sie sehnte sich nach Stille.
    Es war immer schwieriger geworden, nach Einbruch der Dämmerung noch Unterkunft zu finden. Die Dörfer in dieser Höhe waren weit verstreut; sie hatten ihre Tage damit verbracht, durch Wälder zu fahren, die so dicht waren, dass die Sonne nie bis zum Schnee an den Ansätzen der Bäume hindurchdrang, und die Pfade waren so schmal, dass ihr übel wurde, wenn sie nur aus dem Kutschenfenster blickte, den steilen Abhang hinab zu den Flüssen weit unter ihnen und in die Schluchten.
    Und überall, wo sie nun hinkamen, umfingen sie die Klänge des Liedes.
    Der Gebirgszug der Karpaten war durchsetzt von Eisen und Gold und Kupfer. Er verbarg Diamanten und Silber, Salz und Kohle und Quarz, wovon die Minen kündeten, die sich wie Spinnennetze meilenweit durch die mächtigen Felsen erstreckten. So viel hatte sie in ihren Schulstunden gelernt, aber nie zuvor hatte sie darüber nachgedacht, was dies auch bedeuten würde: dass dieser Ort wie eine Droge auf sie wirken würde. Wenn sie die Augen schloss, hörte sie zahllose Geistermelodien in ihrem Kopf, mal weicher, mal lauter, die sich änderten, je nachdem, in welche Richtung sie selbst sich bewegte. Um nicht den Verstand zu verlieren, wählte sie immer ein Lied aus und verfolgte die
Melodie, während diese an ihr zerrte, sie durchdrang und dann schwächer wurde, nur um dann wieder in den Nebeln ihres Geistes anzuschwellen. Draumr war ein allgegenwärtiger Gegenpol zu all dem Rest, stets am stärksten, stets am wunderbarsten.
    Und mit der Schönheit wurden auch die Träume lebendiger denn je.
    Drei Tage zuvor, bei einem Mittagessen aus Knödeln und Hammelfleisch in einem Bergbauernhaus, hatte Zane sie unumwunden darauf angesprochen.
    »Du hast abgenommen«, sagte er brüsk auf Englisch. »Du isst nicht, bist bleich, und ich habe nicht bemerkt, dass du schläfst.«
    »Du achtest darauf, ob ich schlafe?«, fragte sie und hob den Blick.
    »Ich halte das für einen Teil meiner Aufgabe. Bist du krank?«
    Sie schüttelte den Kopf und sah zu der Bauersfrau und ihren Töchtern hinüber, die am Tisch entlang aufgereiht standen, von der größten bis zur kleinsten wie die

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