Der träumende Diamant 2 - Erdmagie
Vibrieren, welches ihr verriet, dass das Kind noch da war - irgendwo. Lia wurde langsamer und von einem Schwall eisiger Luft zur Seite gedrängt, und gerade, als sie sich bereit machen wollte, dem Mädchen erneut hinterherzujagen, erschien es wieder. Nur dass es nun ein Drache war.
Schlank wie eine Schlange, sich drehend und windend, löste sich das Biest aus dem Nebel und stürzte sich auf Lia. Die Flügel waren eng angelegt; die Schuppen schimmerten in vollkommenem Schwarz. In Lias gesamter Familie und dem Rest des Stammes hatte sie nie zuvor einen Drachen ohne Farbe gesehen, aber dieses Kind hätte geradewegs aus einem Albtraum stammen können. Der Drache war klein und wild, und nur die Augen, die Flügelspitzen und die Halskrause glänzten heller und eindeutig silbern.
Das Biest öffnete das Maul und bleckte die Zähne. Bevor Lia in ihrer Rauchgestalt ausweichen konnte, sauste der schwarze Drache zu ihr herüber und war rasch genug, um ein Loch dort zurückzulassen, wo zuvor ihre Mitte gewesen war.
Es schmerzte nicht. Es war seltsam und unangenehm; einen Augenblick lang dachte Lia an nichts anderes als an den Himmel, der sie in Stücke riss.
Sie taumelte, sah Weiß und Azurblau und einen weiteren See, auf dem sich die Sonne spiegelte. Mit großer Willenskraft riss sie sich zusammen, und als sie sich wieder konzentrieren konnte, flatterte das Drachenkind in einer Meile Entfernung. Dort in der Luft zog es seine Kreise, ohne noch mehr Abstand zwischen sie zu bringen. Der Schatten auf den Felsen zog langsam und träge Kreise in Form einer Acht.
Das Biest hob den Kopf und sah in Lias Richtung.
Lia verstand, dass sie auf sie wartete.
Verwandle dich , dachte sie und versuchte, ihre verbissensten Gedanken heraufzubeschwören.
Verwandle dich, verwandle dich, lass es mich doch nur dieses eine Mal schaffen …
Aber sie blieb Rauch.
Es galt als eine Gabe, diese Gestalt halten zu können. Rauch war eigenwillig, ein geschmeidiger, segensreicher Zwischenzustand, um ihre menschliche Gestalt vollständig vom Drachenzustand zu trennen. Aber Rauch war auch träge und wurde leicht vom Wind verweht. Er war nicht dazu geschaffen, lange Bestand zu haben, nicht einmal unter den günstigsten Voraussetzungen. In Darkfrith mit seinen wogenden, grünen Hügeln und sanften Brisen verwandelten sich die Drákon in Rauch und wieder zurück, ohne sich viele Gedanken darüber zu machen.
Aber hier, in diesem offenen Himmel, weit wie ein Ozean, mit dem Wind, der von den kahlen Felsen abprallte und zurückpfiff, wusste Lia, dass es keine Rolle spielte, wie sehr sie
dieses Kind einholen wollte: Sie würde zurückfallen. Nichts war so schnell wie ein Drache in vollem Flug.
Sie dachte an Zane, der dort unten auf sie wartete. Zielstrebig schraubte sie sich hinauf und glitt auf das Drachenmädchen zu, das ihr nur entgegensah, noch immer langsam Kreise ziehend. Als Lia nahe genug war, das Mädchen atmen zu hören und die langen, schwarzen Augen rings um die strahlenden Augen und den fedrigen Kranz um ihren Nacken zu erkennen - da vollzog das Mädchen die Wandlung. Sie sank als graue Wolke hinab auf den Felsvorsprung unter ihnen. Lia tat es ihr gleich, und schon standen sie sich in ihren menschlichen Gestalten von Angesicht zu Angesicht gegenüber, barfuß im Schnee, nur wenige Schritte voneinander entfernt.
Das Haar des Mädchens war nicht ganz schwarz, und ihre Augen waren nicht richtig silbern. Und sie war sogar noch jünger, als Lia zunächst geglaubt hatte, nämlich nicht älter als dreizehn.
Die Haare des Mädchens wurden vom Wind aufgewühlt und wehten wie ein walnussbraunes Banner. Auch Lias Schopf wehte empor. Die goldenen Spitzen zuckten und tanzten kaum einen Zentimeter vor dem Körper des anderen Mädchens, aber keiner der beiden bewegte sich. Das Kind stand aufrecht und furchtlos vor Lia, umrahmt vom Himmel und Licht und nichts sonst, nicht einmal von Wolken.
» Cine … «, setzte Lia an.
»Was bist du?«, fragte das Mädchen in perfekt ausgesprochenem Französisch.
Lias Augen wurden schmal. » Drákon . Wie du.«
»Wo ist dein Drache?« Das Kind hob eine Hand. »Du hast
nicht einmal dann seine Gestalt angenommen, als ich dich herausgefordert habe.«
»Du hast das Feuer im Hotel gelegt. Du folgst uns schon seit Tagen. Warum versuchst du, uns zu töten?«
»Euch zu töten?« Zwei zarte, geschwungene Augenbrauen schnellten in die Höhe, was wie tatsächliches Erstaunen aussah. »Hätte ich versucht, dich zu töten, wäre es
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