Der träumende Diamant 3 - Drachenmagie
die frei und unkontrolliert herumliefen. Es gab mehr Drákon, wild und fremd, und niemand in Darkfrith hatte je etwas davon geahnt.
Die Neuigkeiten hatten ein angsterfülltes Beben durch die Grafschaft geschickt, wie sie es in ihrer Geschichte niemals erlebt hatten.
Vor zwei Jahren hatten der Marquis und die Marquise von Langford ihre eigenen Regeln gebrochen und waren in die Welt der Menschen verschwunden auf ihrer letzten Jagd nach ihrer jüngsten Tochter, was beinahe dafür gesorgt hätte, dass der Stamm sich selbst zerfleischte. Bevor die Zaharen aufgetaucht waren, hatte man Läufer für die gefährlichste aller möglichen Bedrohungen gehalten: Ein Drákon, der ohne Erlaubnis aus der Grafschaft floh, galt als verzweifelt
und unberechenbar. Niemand wäre jemals auf den Gedanken gekommen, dass der damalige Alpha des Stammes und seine Frau so etwas tun würden, selbst auf der Suche nach ihrem Kind.
Kimber hatten sie zurückgelassen, ebenso Audrey, Joan und Rhys. Er hatte die Rolle seines Vaters übernommen, denn dafür war er geboren und ausgebildet worden. Es wäre schlicht undenkbar gewesen, die Krise zu ignorieren, in welcher der Stamm steckte.
Als ältestem Sohn waren ihm Rechte und Privilegien zugestanden worden, die sonst niemandem gewährt wurden, nicht einmal seinem Bruder und seinen Schwestern. Er war als Knabe nach Eton geschickt worden, dann nach Cambridge. Er hatte sich unter die Edelleute und Diebe gemischt und war fünf Mal dem König höchstpersönlich begegnet, und das alles nur wegen der Stellung, für die er bestimmt war. Er war ein Anführer und ein Graf, während seines ganzen Lebens eigens für diese Rolle geprägt. Und seine Familie, seine Freunde und Verwandten waren ebenfalls entsprechend geformt worden.
Der Alpha regierte die Drákon. Kimber war der neue Alpha. Wenn er sprach, gehorchte der Stamm. So entsprach es ihrer Art.
Joan senkte den Blick auf die Teekanne, und ihr Mund verzog sich plötzlich leicht. Rhys hatte sich in seinen Stuhl zurückgezogen, und sein dunkler Haarschopf berührte den Damast. Er hatte die Arme gekreuzt und starrte zu den bemalten Simsen unter der Decke hoch. Nur Audrey, Kimbers Zwillingsschwester, richtete den dunklen Blick auf ihn und schürzte dann die Lippen, um zu sprechen.
»Ich habe die Tage Zoe Lane im Dorf gesehen«, sagte sie sachlich.
Zoe Lane. Kimber brauchte sein Gedächtnis nicht zu durchforschen, um sie richtig zu platzieren: Sie war die Verlobte von Hayden James, jung und beeindruckend. Blond wie die meisten ihrer Art. Blass wie sie alle. Er dachte an ihr regloses Gesicht, als sie Hayden vor einem Jahr Lebewohl sagte auf der Straße vorm Herrenhaus, die sich in die Außenwelt wand. Er erinnerte sich daran, sie später an diesem Abend in der Schänke ihrer Schwester gesehen zu haben, wo sie manchmal arbeitete. Selbst im Schein der Kerzen hatte man ihre geröteten Augen erkennen können.
Wie Jeffrey Bochard, den man zwei Jahre zuvor ausgeschickt hatte - und wie Luke Rowland vor ihm -, war Hayden James einfach verschwunden.
So wie Amalia. Und wie Kimbers Mutter und Vater.
»Niemand macht dich dafür verantwortlich«, sagte Audrey leise. »Natürlich ist das nicht dein Fehler.«
Und in dem Augenblick, als sie die Worte aussprach, wusste Kimber, dass sie glaubte, es verhielte sich so.
Sie hatte recht.
Er erhob sich vom Sofa, ging zu den Türen mit den geschliffenen Glasscheiben und starrte hinaus in den Garten, hinter dem sich das Dickicht der Wälder ausbreitete.
Wenn auch sein Haus so ruhig und genau durchdacht war, wie man es mit einer großen Menge Geld erreichen konnte - und genau so verhielt es sich -, so war wenigstens das Wetter noch außerhalb der von den Drákon ausgeübten Kontrolle. Der Tag hatte stürmisch, aber nicht allzu schlecht begonnen mit einem kühlen, anhaltenden Frühlingsregen, der die Erde schwarz durchtränkte und die Bäume und Pflanzen, die nur auf das aufblühende Sonnenlicht warteten, mit Juwelen behängte. Ein sanfter blauer Dunst kroch durch die Täler und tastete sich mit gekrümmten Nebelfingern an den
weit gestreuten, niedrigen Hügeln entlang, welche die Grafschaft umgaben.
Er stellte sich vor, draußen in der Nässe zu sein, stellte sich vor, sie einzuatmen, dann eins mit ihr zu werden. Rauch, vermischt mit Regen …
Irgendwann hörte Kimber, dass Joan sich auf dem Sofa aufrichtete, dann das Scharren ihrer Schuhe auf dem Boden. »Ich muss los. Erik kann die Zwillinge nicht lange in Schach halten, und
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