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Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Titel: Der träumende Kameltreiber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amor Ben Hamida
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hinein und stellen fest, dass ich kein Lügner, Betrüger oder Scharlatan bin. Ich gelte bei ihnen als ein aufrichtiger, leicht zurückgebliebener junger Mann, der vielleicht eine traurige Liebe hinter sich hat, ein Derwisch eben. Nur ihr Araber seht in jedem einen Teufel, Schande über euch!«
    Auch Massoud hatte einmal versucht, nach Europa zu gelangen, obwohl ihn alle auslachten, als er seinen Plan kundtat: Er wollte mit einem Belgier, der in Gent ein Restaurant besaß, ausreisen. Der Belgier wollte ihn anstellen und sprach von viel Geld, guter Arbeit und Sparmöglichkeiten. Im letzten Moment erwies sich der Mann als schwul und hatte weder ein Restaurant noch wollte er ernsthaft helfen. An einem Abend, als die beiden allein im Zimmer des Touristen standen und Massoud Details zur bevorstehenden Reise besprechen wollte, outete sich der etwa Fünfzigjährige und Massoud rannte wie ein Verrückter davon.

    Neben ihm saß mit etwas grimmigem Ausdruck ein etwa fünfundzwanzigjähriger Mann in Anzug und Krawatte, Rezeptionist im Fünfsternehotel Hannibal Palace. Er war Ahmeds bester Freund; sie waren Schulfreunde und seit ihrer Kindheit unzertrennlich und nur deshalb war er hier. Jamel schaute in die Runde und fragte sich, was er hier tat. Er war keineswegs an Ahmeds Geschichte interessiert, die er sowieso schon oft gehört hatte. Er war auch leicht angewidert von diesen Angebern, die jedes Mal, wenn sie den Mund aufmachten, eine große Lüge herausbrachten. Und dass er ausgerechnet neben Massoud, diesem Taugenichts und Bettlersohn, sitzen musste, verdarb ihm erst recht die Laune. Den Tee von Mansour würde er sowieso nicht trinken. Er hatte sich eine große Flasche Mineralwasser mitgenommen. Und eigentlich wollte er nicht bis zum Schluss bleiben. Das konnte ja die ganze Nacht dauern, wenn Ahmed anfing zu erzählen …
    Jamel sah aus wie ein Intellektueller mit seiner feinen Brille und seinem klaren, intelligenten Blick. Seine Geschichte mit Europa war eigentlich eine Tragödie. Er war der Einzige in der Runde, der tatsächlich bis Hamburg gekommen war. Er hatte sich unheilbar in eine junge, blonde Norddeutsche mit blauen Augen verliebt. Er vertraute sich seinem besten Freund Ahmed an und dieser empfahl ihm, mit ihr zu reden, bevor sie abreisen würde. Er sah sie zwei Wochen lang täglich an seiner Rezeption vorbeigehen und konnte kein einziges Mal auch nur ein Wort herausbringen. Ihm schnürte es jedes Mal die Gurgel zu, wenn er sie sah. Ausgerechnet am letzten Abend traf er sie, betrunken und in den Armen eines anderen Mannes; er nahm sie zur Seite und gestand ihr seine Liebe, sie lachte ihn laut aus und ihr Begleiter verprügelte ihn. An jenem Abend schwor er sich, er würde jede Touristin nehmen, die auch nur den Ansatz einer Bereitschaft zeigte. Und so traf er nach vielen Abenteuern eine andere Frau aus Hamburg. Mit ihr reiste er aus, eigentlich um seine ehemalige Liebe zu treffen. Die Ehe war eine Katastrophe, die ältere Frau reichte nach nur einem Jahr die Scheidung ein. Jamel tauchte unter, weil er seine Frau geschlagen hatte und die Polizei ihn suchte. Er lebte einige Tage bei Freunden, dann in Bahnhöfen, schließlich, als er sich dabei ertappte, bärtig und schmutzig in einer Telefonkabine zu übernachten, stellte er sich und wurde ausgewiesen. Seither ging seine Konversation mit Europäerinnen nicht über das Geschäftliche hinaus.

    Schließlich war Samia da. Um sie hatte sich noch am Nachmittag eine heftige Diskussion entfacht. Jamel hatte seinen Freund zur Seite genommen und gesagt: »Ahmed, bist du nicht mehr bei Sinnen? Du lädst eine Frau, eine Tunesierin, in unsere Männerrunde ein?«

    »Mach dir keine Sorgen, die wird unser Geschwätz ertragen. Sie ist Animateurin, wie du weißt, und mit allen Wassern gewaschen.«
    »Dann erwarte ich von dir, dass du die Sache mit dem Hotelzimmer in Klosters auslässt.«
    »Ha, das ist doch der würzigste Teil meiner Geschichte. Die lasse ich bestimmt nicht aus. Aber ich werde meine Zunge hüten und Rücksicht auf dich nehmen. Wenn du rote Backen bekommst, dann werde ich kürzen.«
    Samia saß nun neben Jamel und schloss den Halbkreis. Sie war eine junge, dunkelhaarige Athletin. Sie tanzte nachmittags mit Kindern in der Kinderanimation, abends tanzte sie im Abendkleid mit Touristen, die sie oft anschließend zu einem Drink einluden. Viele ihrer Kollegen glaubten, dass sie mit Touristen schlief. Sie verneinte es stets, sagte aber immer wieder: »Und wenn es so wäre?

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