Der Träumer
diese Liebe ist mir heilig – bin ich da verwerflich stolz, wenn ich die Heiligkeit nicht anzutasten wage und auf die Stunde warte, in der das Zueinander Gottesdienst der Herzen ist?
»Was lachst du, du affig grinsend Spiegelbild? Du glaubst mir nicht?« Meine Augen lodern in den Spiegel, und meine Finger krallen sich in den Silberrahmen. »Ich liebe Paulchen, liebe, liebe, liebe sie! Und wenn sie kommt, will ich es klar ihr sagen!«
»Ja, wenn sie kommt. Das aber ist der Stolz in dir. Nicht sie soll kommen, du mußt stark zu ihrem Herzen reisen. Du hast den Vorhang zwischen ihr und dir gespannt. Mir scheint, es ist auch deine Pflicht, ihn wieder wegzuziehen. Du traust dem Weibe zu, was du als Mann nicht wagst? O eitler Träumer – dieser bill'ge Stolz ist Frevel!«
»Schweig!« schreie ich. »Schweig!«
In meiner Brust zerreißen Nebel, es kreisen Sterne, und die Sonnenglut quillt über. Köstlich kühl ist dieser Marmor meiner Fensterbank, so lebensspendend kühl, wenn heiß das Antlitz auf ihn sinkt.
O Paulchen, wüßtest du, was du an Selbstbetrug in mir entblößt! Ich stehe nackend da im Hohngelächter meiner Seele und tappe durch die trüben Pfützen meiner Weltlichkeit. Was wähnte ich im Traum zu sein – und ach, was bin ich? Selbst die Erniedrigung wird eitler Stolz. Bin ich denn wirklich nur ein nichtiges Produkt aus Hoffart und Eitelkeit, dem sogar der liebe Harfenklang wie eine flotte Tanzmusik in den Ohren klingt?
Ich fühle, wie des Marmors Kälte meinen Leib durchzieht. Das macht mich nüchtern, läßt mich denken und die Zweifel finden, denn der Zusammenbruch des Ichs soll nur das Fallen einer Mauer sein, und hinter ihr erwacht die eingeschlafne Menschlichkeit.
Ich schiele auf den Spiegel, der mich meine Person hüllenlos erkennen läßt, und zaudere, das Bild noch einmal anzusprechen. Wie, wenn die letzte Hoffnung, eben Paulchens Liebe, auch nur Truglicht eines Kobolds ist, das mich im Sumpf der Weltlichkeit versinken läßt? Denn was den Menschen auf dem Steg des Lebens hält, ist neben seiner Ehre seine Liebe. Und diese Liebe fand ich – sag, o Bild, ich fand sie doch … ich hab' mich an sie geklammert, sie als Fundament ummauert … o sprich doch, sprich!
»Du bist ein Träumer, gut – kannst du dem Traum entsagen, um zu lieben?«
»Die Liebe ist doch Traum.« Ich röchle und winde mich im Stolz.
»Nein, Freund, die Liebe ist real. Wer sich im Traum der Liebe aus dem Leben gaukeln läßt, ist ein Phantast, der nicht den Wert des Seins erkennt. Gab dir ein Gott die Gnade, sehnsuchtsvoll zu sein, so gab er auch die Kraft, der Sehnsucht Brücken in die Wirklichkeit zu bauen. Bist du dir zu fein, die Hände strebend dir zu beschmutzen, wirst du auch den Wert der reinen Hände nicht kennen. O Freund, du scheinst mir menschlicher zu sein als träumerisch ein Träumer, denn auch im Menschlichen ist so viel Traum, wie du im Traume Menschliches ergründest.«
»Und wird das Menschliche in mir die Sehnsucht finden?«
»Was nennst du Sehnsucht? Was du träumst? Dann ist es Nebel. Und was du willst, ist überlegter Geisteswunsch. Allein nur deine absolute Menschwerdung ist eine Sehnsucht, die sich noch erfüllen läßt. Kann deine Liebe diese Sehnsucht in den Ring der Seele setzen, wirst du mehr sein als ein Träumer, ganz ein Mensch – und wirst doch in den Augen deiner Brüder wenig menschlich wirken. Das aber tötet deinen Stolz … und dann erst liebst du!«
Der Spiegel schweigt, stumm kommt die Nacht ins Zimmer, und um die Grate heult der ungestüme Föhn. Die hohen Tannen biegen sich erdwärts, es knirscht im Holz, es jammert in den Zweigen. Es ist die schönste Melodie seit Jahren, die in mein Ohr dringt, und betend fast schau' ich ins Wirbelschwarz der Nacht.
Und tief in meinem Innern leuchtet hell ein Licht …
Ich glaube, durch die Liebe noch ein Mensch zu werden …
Sie hat geschrieben! Paulchen hat geschrieben, einen lieben, langen, ach so paulchenhaften Brief. Ich renne durch die stummen Berge, lache laut dem Herbstlaub zu, wenn es auf mich niederregnet, ich greife danach, ich sammle alle Farben dieses Herbstes, ich singe es hinauf in die kahlen Äste … sie hat geschrieben, o ihr Götter … jede andere Lust verblaßt … in diesem Brief spiegeln sich die Seligkeiten!
Auf einen Baumstumpf am Hang eines Berges setze ich mich nieder und falte nochmals die Bogen auseinander. Ich lese Wort um Wort … ach, lesen – es fließt die Sprache mir in meine trinkende Seele, und
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