Der Träumer
ich bin trunken von dem Glück, das in den Sätzen gärt.
»Ich komme«, schreibt sie, »komme bald. Ich werde Nachricht geben, ach, wie freu' ich mich …«
Sie freut sich, hört ihr es, ihr Winde, sie freut sich …
Wie schlägt das Herz mir, wie leer ist mein Gehirn … ich kann nur denken, daß sie kommt … sie kommt … sie kommt …
»Ich werde«, schreibt sie weiter, »Sie aus Ihrer Einsamkeit ein wenig in das Leben rütteln. Sie waren mir zu traurig, als Sie mich besuchten …«
Nein, Paulchen, nein, ich war nicht traurig, ich war von der Heiligkeit ergriffen, die plötzlich ungeahnt in meinem Inneren Dome der Gefühle baute. Ich war zu klein, um diese aufgestellte Größe zu begreifen. Ich war zu sehr ein Träumer, um als Kämpfer aufzutreten.
Doch endlich habe ich mich selbst erkannt. Der Selbstbetrug ist abgefallen. Ich sehe meinen Weg, und deine Worte werden Fackeln sein, die mir zum Ziele leuchten. Großen Dank dir, menschlich hohen Dank, Ersehnte. Nun werden alle Stunden meiner Sehnsucht, alle Pendelschläge meiner Hoffnung Steine für die Straße sein, auf der du, Liebliche, zu meinem Herzen ziehst. Da werden selbst die kahlen Bäume liebend seufzen, und alle Gräser, die dein Fuß zertritt, stehen sterbend neu in Blüte.
Ja, pfeift, ihr Winde, spielt in meinen wirren Haaren; wie ihr euch mit den Wolken heiß vermählt, will ich mit Schluchzen in die Arme der Ersehnten sinken.
Ach Paulchen, wenn du kommst, was möchte ich alles dir zu Füßen legen! Wie stammelnd spricht ein Jüngling von den hohen Sternen, die seine Liebe dir zur Erde zwingt … wie lächerlich ist jenes Luftschloß, das mit Seufzen man auf mondbeschienenen Bänken baut. Ich will dir etwas geben, das so wenig ist, daß es als viel gilt, weil es winzig ist: die reine Menschlichkeit in mir. Ich will in deinem Schoße von den Wundern unseres Lebens träumen, und jeder Schlag deines Herzens soll die Stufe einer Treppe werden, die mich vom Träumer in die Menschwerdung trägt.
Was dieses Städtchen bietet an versteckten Kostbarkeiten, will ich wie bunte Bilder vor dir breiten. Du sollst mit deinem Ohr den Atem unserer Erde hören, sollst mit dem Kichern unserer Winde auf den Bergen lachen. Du sollst das Winterlied der starren Bäume kennen und durch den Nebel hell deine goldenen Locken tragen. Du sollst eine erdenhafte Göttin sein, Herrin des kleinen Reiches meines Lebens … und du sollst mehr sein, viel mehr als dies – die letzte, himmlische Erfüllung meines Glaubens an den Menschen!
Den Weg zum Berg hinauf müht sich eine alte Frau, die Häuslerin am Stadtrand. Sie trägt eine Kiepe auf dem Rücken, um dürre Zweige zu sammeln, denn ihre karge Rente reicht nicht für den Holzschlag in den Wäldern. Ermüdet stapft sie auf mich zu, grüßt stumm und setzt die Kiepe schwer ins Heidekraut, wischt sich den Schweiß aus ihren Runzeln und verhält den Atem.
»Schwer ist's, im Alter die Last, die Jungen nicht leicht wäre, zu tragen«, sagt sie mit brüchiger Stimme. »Du bist doch der ›Dichter‹, nicht? Der ›Dichter‹ aus dem Städtchen?«
»Ja, Mutter«, sage ich und räume meinen Baumstumpf, der ihr sehr willkommen ist, »so wie ihr es meint, bin ich vielleicht ein Dichter.«
»Ach, warum nur vielleicht? Die Leute sagen's doch.«
»Doch wenn man's selbst nicht fühlt, was dann?«
»Ich melke meine Ziege, weil sie mir Milch gibt«, erwidert die Alte. »Ich stoße Sahne, bis sie Butter wird, weil sie mich nährt. Und warum schreibst du?«
»Weil ich muß!«
»Und kannst mich da noch fragen, ob du Dichter bist?«
»Man nennt so vieles Dichtung, was doch nur Geschriebenes ist.«
»Davon versteh' ich nichts. Ich hab' nie ein Buch gelesen, hab' nur daran gedacht, wie ich den Magen füllen kann und meine Kinder gute Menschen werden. Doch kann ich mir ein wenig vorstellen, wie ein Dichter sein muß: Ich möchte, wenn ich etwas lese, etwas Leben sehen.«
»Du meinst, Dichtung muß ergreifen können, Mutter? Sie muß den Menschen an die Seele rühren, er muß im Tiegel seines Lebens liegen, er muß sich selbst im Spiegel dieser Dichtung sehen?«
»Ach, welche Worte, von denen ich kein einziges verstehe! Eine Ziege, die magere Milch gibt, wird geschlachtet. Was macht man mit einem Dichter, der unnütz ist?«
»Man kann ihn nicht auch schlachten, Mutter.«
»Was macht man mit ihm?«
»Man läßt ihn verhungern.«
»Schlachten wäre barmherziger, denn es ginge schneller.«
»Oder er selbst wendet sich von seiner
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