Der Trakt
haben.«
»Ich … – Ja, hab ich! Na und? Versetzen Sie sich mal in meine Situation. Rosie hat mir schon sehr viel geholfen. Sie reden immer nur davon.«
Rössler lockerte seinen Griff und ließ dann die Arme sinken.
»Dachte ich mir. Das erklärt natürlich alles.«
In seiner Stimme schwang Resignation mit. Auf ihre letzte Bemerkung ging er überhaupt nicht ein.
»Das erklärt was?«, wollte Sibylle wissen, und als er nicht gleich antwortete, wiederholte sie: »Was erklärt das bitte schön?«
»Heute früh sind zwei Typen in meine Wohnung eingedrungen, maskiert, haben mich überwältigt und gefesselt. Die haben gesagt, wenn ich nicht aufhöre, mich in fremde Angelegenheiten zu mischen, tun sie meiner Schwester was an, und wenn ich noch einmal in der Nähe des Hauses von Frau Wengler auftauchen sollte, würde es mir anschließend sehr leid tun.«
Er sprach jetzt sehr leise, fast war es ein Flüstern. »Verstehen Sie, was das bedeutet? Diese Leute haben sich die ganze Zeit über nicht für mich interessiert. Selbst als ich versucht habe, meiner Schwester zu helfen, sind die nie in meine Nähe gekommen. Kaum erzählen Sie aber dieser Frau von mir, werde ich überfallen und massiv bedroht.«
»Sie behaupten immer noch, Rosie hätte mit dieser ganzen Sache etwas zu tun?«
Rössler schüttelte den Kopf. »Nein, nicht immer noch. Gestern war’s nur eine Vermutung, erst seit heute Morgen bin ich sicher.«
Sibylle sah in dieses Gesicht, das vom Flurlicht wie mit einem schmutziggrauen Weichzeichner überzogen war, und versuchte darin einen Hinweis darauf zu finden, ob sie ihm glauben konnte, aber es war schwierig, überhaupt etwas zu erkennen.
Was mach ich jetzt, was soll ich denn jetzt bloß machen?
Wie durch Blitzlichter aus der Dunkelheit gerissen, tauchten in schneller Abfolge Bilder vor ihr auf: ein fast schon biederes Wohnzimmer, kahle Wände ohne Fotos, ein verstorbener Ehemann, den es nur in Erzählungen zu geben schien, Nervosität bei der einfachen Frage nach Kindern …
Wer bist du, Rosie Wengler?
Sibylle spürte, wie die Verzweiflung wieder in ihr aufstieg. Alles in ihr wehrte sich dagegen, aber es war nicht von der Hand zu weisen, dass Rosie zumindest in einigen Punkten rätselhaft war. Aber selbst wenn – warum sollte Rosie die Polizei rufen, ausgerechnet hier, vor dem Haus, in dem Elke wohnte? Hätte sie das nicht einfacher zu Hause haben können?
Und wenn Rössler lügt? Wenn vor dem Haus überhaupt keine Polizisten auf mich warten?
Mit einem Ruck wandte Sibylle sich ab und hatte mit einigen schnellen Schritten die schwere Eingangstür erreicht. Sie war darauf gefasst, dass Rössler versuchen würde, sie aufzuhalten, aber als sie sich kurz nach ihm umsah, stand er noch immer bewegungslos an der gleichen Stelle.
Vorsichtig zog sie die Tür einen Spalt auf, gerade so weit, dass sie bis zu der Stelle sah, an der Rosies Auto parkte. Sie musste die Wange dazu fest gegen die kalte Mauer pressen.
Rössler hatte die Wahrheit gesagt. Neben Rosies Wagen stand der unsympathische Oberkommissar, dieser Grohe, er hatte sich nach vorne gebeugt, sah durch das Seitenfenster der Beifahrerseite und schien sich mit Rosie zu unterhalten. Sibylle musste an Rosies Zettel denken:
Polizisten echt?
Vorsichtig zog Sibylle die Tür noch ein Stück weiter auf und versuchte herauszufinden, ob auch der jüngere Kommissar dabei war, dessen Namen sie schon wieder vergessen hatte.
Einige Meter von Rosies Wagen entfernt standen drei uniformierte Polizisten. Zwei von ihnen hörten dem dritten mit ernsten Gesichtern zu. Er deutete mehrmals auf das Haus, während er redete. In diesem Moment tauchte von links ein Streifenwagen auf und bremste hart hinter Rosies Fahrzeug. Grohe richtete sich auf und sah erst zu dem Fahrzeug und dann direkt zu der Tür herüber, hinter der Sibylle stand. Sie zog schnell den Kopf zurück, hielt die Tür aber mit klopfendem Herzen weiterhin einen Spalt geöffnet. Falls Grohe sie noch nicht entdeckt hatte, wollte sie sich nicht durch die Bewegung der Tür verraten.
Sie wandte sich zu Rössler um. »Sie hatten recht. Da draußen wimmelt es von Polizisten. An Rosies Wagen steht einer der Kommissare, denen ich gestern entkommen konnte. Kann sein, dass er mich gesehen hat.«
Rössler winkte sie zu sich. »Jetzt kommen Sie endlich, lassen Sie uns verschwinden!«
Nur mühsam konnte Sibylle dem Drang widerstehen nachzusehen, was Grohe nun tat und ob er sie gesehen hatte oder nicht. Einen Moment
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