Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Trakt

Der Trakt

Titel: Der Trakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Strobel
Vom Netzwerk:
eine Hand vor den Mund, ließ sich auf den Stuhl gegenüber Sibylle sinken und beugte sich so weit nach vorne, dass ihre Stirn fast die Tischplatte berührte. Sibylle sah sie an, sah, wie ihre Schultern zuckten, und konnte nicht anders als ihr eine Hand auf den Kopf zu legen und ihr sanft über die Locken zu streicheln. »Du scheinst doch noch etwas für mich übrig zu haben, Bella.«
    Langsam hob sich das tränennasse Gesicht. »Bella? So hat mich Sibylle immer genannt. Woher wissen Sie –«
    Mit einem schnellen Ruck zog Sibylle ihre Hand zurück.
    »Seid ihr denn alle komplett verrückt geworden? Schau mich doch an, Elke. Schau mich genau an. Hier«, sie zeigte mit gespreiztem Zeige- und Mittelfinger auf ihre Augen, »schau hier hin. Ich weiß nicht, ob mit meinem Gesicht irgendetwas passiert ist, keine Ahnung! Aber schau in meine Augen, Elke. Wir kennen uns so lange, du musst mich doch wenigstens an meinen Augen erkennen.«
    Lange sahen sie sich an. Elke kniff die Lider ein wenig zusammen. Dann wischte sie sich mit dem Handrücken über das Gesicht und zog die Nase geräuschvoll hoch.
    »Ich weiß nicht, was ich noch glauben soll. Sie sehen nicht aus wie Sibylle, aber Ihre Art zu sprechen … wie sie. Sogar Ihre Stimme klingt ähnlich. Und Sie bewegen sich wie sie, und offensichtlich wissen Sie auch sehr viel über sie. Was haben Sie mit ihr gemacht?«, schluchzte sie. »Und warum? Was … was wollen Sie?«
    Sibylle musste ihre Wut und ihre Verzweiflung unterdrücken. Sie würde nichts erreichen, wenn sie Elke anschrie oder sie beschimpfte, das wusste sie. Elke würde dann komplett dichtmachen und gar nichts mehr sagen.
    Sie stützte die Ellbogen auf dem Tisch ab und beugte sich ein Stück weit nach vorne. »Ich bin ziemlich verzweifelt, Elke, und ich verstehe nicht einmal ansatzweise, was hier gerade passiert. Mein gesamtes Leben scheint sich in Luft aufzulösen, und ich beginne ernsthaft, an meinem Verstand zu zweifeln. Was immer du von mir wissen möchtest, wir können über alles reden, aber zuerst musst du mir – bitte – eine Frage beantworten: Wo ist Lukas?«
    Den letzten Satz hatte sie langsam ausgesprochen, hatte jedes einzelne Wort betont.
    Elke ließ sich mit dem Rücken gegen die Stuhllehne fallen und schüttelte den Kopf. »Johannes hat mir schon am Telefon gesagt, dass Sie etwas von einem Jungen erzählt haben. Er denkt, dass Sie und Ihre … Ihre Komplizen Sibylle entführt haben. Und dann haben Sie sie mit Drogen dazu gebracht, dass sie Ihnen alles erzählt. Alles, was Sie jetzt über sie wissen. Johannes denkt, Sibylle hat Ihnen diese Geschichte von einem Sohn namens Lukas erzählt, damit Sie sich verraten.«
    Sibylle horchte in sich hinein und stellte verwundert fest, dass da nur eine große Leere war. Es kam ihr so vor, als wären mit einem Schalter alle Wut, alle Verzweiflung, alle Gefühle ausgeschaltet worden.
    »Und was denkst du, Elke?«
    »Ich glaube das nicht. Also, das mit dem Jungen. Wenn es so wäre, hätten Sie gestern bei ihm merken müssen, dass etwas an der Sache mit dem Jungen nicht stimmt. Warum sollten Sie mir dann das Gleiche erzählen? Das wäre unlogisch. Ich wundere mich sowieso, dass Sie hierher gekommen sind. Sie wussten doch, dass Johannes mich anrufen wird. Was, wenn hier die Polizei auf Sie warten würde?«
    Sibylle zuckte kurz zusammen. »Und? Wartet sie auf mich?«
    »Nein.«
    »Könntest du bitte damit aufhören, mich zu siezen? Das ist unerträglich.«
    »Aber ich fände es unerträglich, wenn ich so tun würde, als wären Sie meine Freundin, verdammt! Sibylle … sie ist seit zwei Monaten spurlos verschwunden, und ich weiß noch nicht mal, ob sie überhaupt noch am Leben ist. Verstehen Sie das nicht?«
    Hoffnungslos. Jede Minute hier ist verlorene Zeit. Ich muss hier weg, bevor ich den Verstand verliere und anfange zu schreien. Weg, aber wohin? Egal, wohin. Weg. Lukas finden.
    Ohne ein weiteres Wort stand sie auf. Nach einem letzten, langen Blick auf Elke, die ihr auswich, verließ sie die Küche und ging auf die Wohnungstür zu.
    Als sie die Wohnung gerade verlassen wollte, hörte sie hinter sich Elkes Stimme. »Geh nicht.«
    Sie stockte und drehte sich um.
    Elke lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen an der Flurwand und machte ein Gesicht wie ein Kind, das beim Lügen erwischt worden war.
    »Ich weiß nicht, wer du bist, aber ich möchte es wissen. Vielleicht mache ich einen Fehler, aber ich glaube nicht, dass du lügst. Jedenfalls nicht

Weitere Kostenlose Bücher