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Der Trakt

Der Trakt

Titel: Der Trakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Strobel
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dadurch zu beeindrucken, dass er sich in ihrem Griff hängen ließ und mit den Füßen auf den Boden schlug.
    So hat sich Lukas noch nie aufgeführt.
    Sofort bohrte sich eine unsichtbare Klinge in ihre Brust.
Lukas.
Ihr Verstand sagte ihr, dass Christian recht hatte. Es sprach ohne eine einzige Ausnahme alles dafür, dass man ihr ein Kind ins Gedächtnis gepflanzt hatte. Und doch pochte ihr Herz noch immer darauf, dass es diesen kleinen Menschen wirklich gab und dass er im Moment große Angst hatte und ihre Hilfe brauchte.
    Sie riss sich von diesen Gedanken los, auch wenn es ihr sehr schwerfiel, und sah sich in der Halle um.
    Von Christian war noch nichts zu entdecken. Die große Uhr über dem Infoschalter zeigte mittlerweile 16 Uhr 31.
Ich will diesen Zug auf keinen Fall verpassen.
    Sibylle folgte dem Hinweisschild zu den Toiletten und durchquerte die Halle. Sie entdeckte Christian neben dem Eingang der Toiletten mit seinem Handy am Ohr. Langsam ging sie auf ihn zu, während er mit ernster Miene seinem Gesprächspartner zuzuhören schien. Kurz bevor sie ihn erreicht hatte, bemerkte er sie. Sein Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig.
    »Ich melde mich dann später noch mal«, sagte er hastig und ließ die Hand mit dem Telefon sinken.
    »Ich dachte, ich sehe mal nach, wo du bleibst«, sagte sie und bemühte sich dabei erst gar nicht, ihre Verwunderung zu verbergen. »Ich konnte ja nicht ahnen, dass du noch telefonieren musst. Es wird höchste Zeit, dass wir zum Bahnsteig gehen. Mit wem hast du telefoniert?«
    »Ach, das …«, in einer sinnlosen Geste hielt er ihr das Telefon erst entgegen, bevor er es in die Brusttasche seines Hemdes steckte, »das war nur ein Bekannter, dem ich gesagt habe, dass ich kurzfristig nach München muss.«
    Ein Bekannter? Den er extra informieren muss, wenn er nach München fährt? Egal …
»Komm, Christian, wir haben’s eilig!«
     
    Nur zehn Minuten später saßen sie sich am Fenster in der 2. Klasse gegenüber und sahen durch die verschmierte Scheibe nach draußen, während der Zug aus dem Regensburger Bahnhof rollte.
    Sibylle sah vorsichtig zu Christian herüber. Sie neigte dabei den Kopf nur ganz wenig, gerade so weit, dass sie ihn aus den Augenwinkeln sehen konnte. Er schien es nicht zu bemerken.
    Warst du überhaupt auf dem Klo, Christian Rössler, oder brauchtest du nur eine Ausrede, um hinter meinem Rücken telefonieren zu können? Wenn dieser Bekannte so wichtig ist, warum hast du ihn bisher noch nicht erwähnt? Und warum hilft er dir nicht bei der Suche nach deiner Schwester?
    »Liebst du sie sehr?«, fragte sie spontan und sah ihn offen an.
    »Hm, was?« Er schien in Gedanken versunken gewesen zu sein, denn er zuckte zusammen.
    »Deine Schwester.«
    »Was? Ob ich meine … Ja, doch, natürlich liebe ich meine Schwester. Wie kommst du jetzt darauf?«
    »Vielleicht … bin ich ja wirklich verrückt. Eigentlich sollte ich froh sein und nicht nachfragen, aber … weißt du, wir reden die ganze Zeit immer nur über mich. Du gehst dorthin, wo ich hingehe, du stellst mir viele Fragen, sprichst aber sehr wenig über Isabelle. Sie ist doch, nach dem, was du erzählt hast, wahrscheinlich in großer Gefahr.«
    »Ich hoffe einfach darauf … also, wenn ich dir helfe, so gut ich kann, dann hilft mir das im Endeffekt vielleicht, Isabelle zu finden.«
    Sibylle sah wieder nach draußen. Der Zug hatte mittlerweile Geschwindigkeit aufgenommen, gerade flogen Gärten und Hinterhöfe vorbei, die bis fast an die Gleise heranreichten.
    »Und was ist mit eurer Familie? Es muss doch noch andere Menschen geben, die sich um sie sorgen.«
    »Nein, es gibt keine Familie. Unsere Eltern sind tot, und verheiratet sind wir beide nicht. Wir haben nur uns.«
    »Und deinen Bekannten.«
    Er zögerte einen Moment und sagte dann: »Ja, aber der … steht uns nicht so nah, dass ich ihn in diese Sache mit reinziehen würde.«
    »Na ja, immerhin nah genug, dass du ihn vom Bahnhof aus extra angerufen hast.«
    »Ja, aber … Ist doch auch egal, er ist eben ein Bekannter.«
    Es klang ärgerlich.
    Du lügst mich an, Christian. Aber warum?
»Ja, du hast recht. Es ist egal.«
    Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen und dachte an München.
Das Konzert, Maffay … München … Klinikum rechts der Isar, Gynäkologie, Dr. Blesius, Lukas … – und was will ich unternehmen, sobald wir da angekommen sind?
    Sie öffnete die Augen. Auch Christian hatte sich bequem zurückgelehnt, er saß ganz ruhig und atmete

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