Der Traum der Hebamme / Roman
Land zu regieren. Nein, widersprecht nicht!«, befahl er ihr sofort mit erhobener Hand. »Dies ist ein allseits bekanntes Factum. Doch ich hoffe, Ihr habt Eure Meinung inzwischen geändert. Und es freut mich, Euch mitteilen zu können, dass die Erbfolge gesichert ist. Meine Gemahlin trägt einen Sohn unter dem Herzen, und er wird die Herrschaft des Hauses Wettin fortführen.«
»Meinen Glückwunsch, Hoheit, zu diesen wundervollen Neuigkeiten!«, sagte Hedwig mit strahlendem Lächeln.
Wenn Albrecht dachte, sie würde bei dieser Nachricht Bedauern zeigen, hatte er sich geirrt: Auch Hedwig wusste, wie zweifelhaft es war, ob Dietrich einmal die Markgrafschaft übernahm, sollte sein Bruder ohne Erben sterben. Womöglich würde der Kaiser in diesem Fall das Lehen einziehen, so wie er es mit Thüringen vorgehabt hatte.
Obwohl sie zu ihrer Schwiegertochter kein besonders gutes Verhältnis hatte, freute sie sich für Sophia. Endlich einen Erben zu gebären, würde das Los der Unglücklichen etwas leichter machen.
Einen Augenblick lang flackerte in Hedwig sogar die Hoffnung auf, diese Neuigkeit könnte Albrecht etwas milder stimmen. Vielleicht hatte er sie sogar deshalb hierher befohlen?
Doch seine nächsten Worte brachten diese Hoffnung sofort zum Erlöschen. »Es ist mir ein Bedürfnis, Euch zu beweisen, dass ich durchaus in der Lage bin, über dieses Land zu herrschen und mich gegen alle Feinde und Verräter zu behaupten.«
Bei dieser Ankündigung richteten sich Hedwigs Nackenhärchen auf.
Albrecht lächelte raubtierhaft, stand auf und reichte ihr seine Hand. »Eine kleine Demonstration ist zu diesem Zwecke auf dem Hof vorbereitet. Wenn Ihr mich begleiten wollt, Mutter?«
Von dunklen Ahnungen erfüllt, erhob sich die Markgräfin und ließ sich hinausführen.
Jedermann im Saal sank auf die Knie, während der Markgraf und die Gräfin von Ballenstedt vorbeischritten.
Vor dem markgräflichen Palas waren inzwischen zwei Stühle aufgestellt worden, ähnlich prächtig geschnitzt wie die beiden, auf denen sie eben noch gesessen hatten. Schaffelle lagen darunter, damit den Sitzenden die Füße nicht kalt wurden. Nun war Hedwig froh, dass sie immer noch den warmen Wollbliaut unter dem Umhang trug statt eines der kostbaren seidenen Kleider. Der Himmel war grau, und eiskalter Wind trieb die letzten welken Blätter und loses Stroh über den Hof.
»Macht es Euch bequem! Sitzt Ihr auch gut?«, fragte Albrecht in gespielter Freundlichkeit. Er klatschte gut gelaunt in die Hände, der Küchenmeister brachte gebratenes Fleisch, der Kellermeister dampfenden Würzwein.
Sie lehnte ab, als Giselbert ihr einen Becher davon einschenken wollte.
»Ihr mögt nichts von diesen Köstlichkeiten?«, fragte ihr Sohn mit hochgezogenen Augenbrauen. »Nun, vielleicht kommt der Appetit ja noch …« Er gab mit einem Fingerwink einen Befehl.
Wachen bahnten sich den Weg durch den Halbkreis der Menschen, die sich vor den beiden Sitzenden aufgestellt hatten. Als sich die vordere Reihe der Zuschauer teilte und Hedwig sehen konnte, wen die Wachen mit sich schleiften und vor ihr auf die Knie zwangen, war ihr zumute, als würde ihr eine eisige Hand das Herz abdrücken.
Lothars Gesicht war blutüberströmt, ein Auge fehlte ihm, seine Handgelenke waren von den schartigen Ketten aufgescheuert, sein ganzer Körper schien eine einzige Wunde. Mit Mühe hielt er sich auf Knien und vermied jeden Blick zu Hedwig.
»Erkennt Ihr ihn?«, fragte Albrecht lauernd, leicht vorgebeugt, um jede Regung in ihrem Gesicht zu beobachten.
»Bei Gott, was hat dieser Mann verbrochen, dass er so zugerichtet wurde?«, fragte sie, ohne ihre Bestürzung zu verbergen. »Hat er nicht genauestens Eure Befehle befolgt, indem er mich auf Seußlitz bewachte?«
»Ich denke, das tat er nicht«, entgegnete Albrecht betont ruhig. »Ich denke sogar, er hat mich aufs schlimmste hintergangen und verraten.«
»Womöglich trifft Euer Zorn den Falschen …«, flehte Hedwig. »Was kann ich tun, um Euch zu Gnade zu bewegen?«
Sie machte Anstalten, aufzustehen und vor ihrem Sohn auf die Knie zu gehen, doch Albrecht presste seine Hand wie eine Zwinge um ihren Arm und hielt sie auf dem Platz fest.
»Es freut mich überaus, Euch zu einer demütigen Bitte verleiten zu können«, sagte er mit boshaftem Lächeln. »Doch Ihr werdet mir zustimmen: Wer die Macht nicht halten kann, verdient sie nicht. Deshalb darf es für Verräter keine Gnade geben.«
Dann wandte er sich den Wachen zu und befahl:
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